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13. Januar 2021
Media Research & Development

Automatisierte Nachrichten aus der Wissenschaft

Automatisierte Nachrichten aus der Wissenschaft

Spielberichte aus der Kreisliga, Wettervorhersagen oder die aktuellen Börsenkurse werden schon jetzt von Maschinen geschrieben. Werden sie bald auch automatische Wissenschaftsmeldungen schreiben, zum Beispiel im medizinischen Bereich? Und wer soll sich überhaupt dafür interessieren?

Jeden Tag werden mehrere tausend wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften und Journals veröffentlicht. Nur extrem wenige von Ihnen werden von den Medien aufgegriffen und landen in der Tageszeitung oder in der Wissenschaftssendungen im Hörfunk.

Massenmedien versuchen möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Interessen gleichzeitig zu erreichen, weshalb Wissenschaftskommunikator:innen und Journalist:innen eher massentaugliche Studien für ihre Berichterstattung auswählen. Für Nischenthemen, die nur eine kleine nichtwissenschaftliche Zielgruppe interessieren würden, ist der Aufwand für die Pressearbeit zu hoch.

Automatisierte Meldungen beim Fußball und Wetter


Ein großes gemeinsames Thema, unterteilt in vielen Nischeninteressen — das gibt es auch beim Lokalsport, beim Wetter oder an der Finanzwelt. Dort erstellen Maschinen bereits jetzt automatische Meldungen.

Drei Faktoren
Sehr viele Menschen interessieren sich für Fußball, das Wetter oder Börsenkurse, aber für den Kreisligaverein im Ort, das lokale Wetter oder den Börsenkurs einer bestimmten Aktie ist die Zielgruppe wiederum zu klein für Berichterstattung durch Menschen. Zwei weitere Faktoren haben automatisierte Sport-, Wetter- und Börsenmeldungen außerdem gemeinsam: Es gibt eine große, maschinenlesbare und strukturierte Datengrundlage sowie eine eher kleine Variation an Sätzen und Sprachstrukturen, die für Meldungen notwendig sind.

Die Vision: Der Robo-Wissenschaftsjournalist
Während die starke Segmentierung in Nischenthemen und große maschinenlesbare Daten auch in der Wissenschaft vorhanden sind, sieht es bei der Strukturierung der Daten und bei der Variation der Sprache ungemein komplizierter aus. Um aus einer Studie eine einfach verständliche Wissenschaftsmeldung zu generieren, sind ganz andere Formen von Automatisierung und KI notwendig als bei der Erstellung eines Wetterberichts aus Wetterdaten.

Nischen mit viel Potenzial

Die Fähigkeiten von künstlicher Intelligenz (KI) in der Sprachverarbeitung entwickeln sich rasend weiter. Ich finde es ist eine spannende Vision, wenn jeder Mensch mithilfe von KI in der Lage wäre, wissenschaftliche Studien zu lesen, zu verstehen und ihre Bedeutung einzuordnen. User bekommen automatisch eine Wissenschaftsmeldung auf ihr Smartphone, sobald eine Studie veröffentlicht wird, die zu einem aktuellen beruflichen Problem passt. Einfach erklärt, in der Muttersprach und mit einer Einordnung zur Qualität. Die Einsatzbereiche dazu sind da. Zum Beispiel wenn eine Pflegekraft sofort erfährt, wenn es genau für ihre Spezialisierung neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft gibt. Ein Landwirt aus Indien profitiert möglicherweise von agrarwissenschaftlichen Studien aus Südamerika. Menschen, die sich für Ernährung interessieren bekommen eine Einordnung, welchen Ernährungsstudien sie trauen können und auch Fachjournalist:innen und Citizen Scientists könnten von automatisierten Wissenschaftsmeldungen profitieren.

Zielgruppe first!

Doch woher weiß ich überhaupt, wer meine Zielgruppen sind, was sie wollen und wofür potenziellen Kunden zahlen würden? Beim Customer Camp während des R&D Fellowships mit dem Lean Startup Coach Thomas Hartmann waren das die zentralen Fragen, mit denen wir uns beschäftigt haben. Um mehr über die Probleme meiner Zielgruppe herauszufinden, habe ich Interviews mit praktizierende Mediziner:innen, Pflegekräften, Landwirt:innen und Fachjournalist:innen geführt. Meine Kernfragen waren: Wie erfährst du derzeit von neuen Studien, wie relevant sind diese für dich und was sind die „Pains“ und „Gains” dabei.

Eine erstaunliche Erkenntnis war, dass der Schweinezüchter aus Niedersachsen dabei vor den gleichen Problemen stand, wie der Altenpflege-Azubi aus Bayern. Sie hatten beide Interesse an Wissenschaft und waren echte “Nerds” in ihrer Nische. Für beide waren die Fachzeitschriften, die es für ihre Berufsgruppe gibt, zu allgemein und zu “old-school”. Den Schweinezüchter interessiert Pflanzenanbau nicht und für den Altenpfleger ist die Kinderkrankenpflege nicht relevant. Für beide war allerdings Twitter eine wichtige Quelle, um über aktuelle Forschungsarbeiten zu stolpern. Doch sind Englisch und die akademische Sprache für beide eine Herausforderung und ob diese Artikel seriös sind, ist für Nichtwissenschaftler:innen auch nicht einfach einzuschätzen.

Aus den Interviews und ersten Experimenten konnte ich zwei Job Stories identifizieren:     

  1. In dem Moment, in dem ich über neue Forschung für genau meinen Beruf erfahren möchte, wünsche ich mir, dass ich zur richtigen Zeit, nur die genau für mich relevante Forschung zu sehen bekomme. Momentan muss ich mich ewig durch Fachzeitschriften blättern, bekomme zufällig etwas auf Twitter mit oder muss lange recherchieren.
  2. In den Moment, in dem ich wissenschaftliche Artikel für meinen Beruf lese, wünsche ich mir, dass sie auf deutsch sind, in einfacher Sprache und ich weiß, ob sie seriös sind. Momentan sind sie meist auf englisch, in akademischer Sprache und ich kann die Qualität nicht einordnen.

Pretotype: Nursing Science News

Für das nächste Experiment baute ich einen Pretotype und konzentriere mich dabei auf eine Job Story und eine Zielgruppe. Auf nursingsciencenews.de konnten Pflegekräfte ihre E-Mail-Adresse hinterlassen und eine Auswahl von Interessen angeben. Die Webseite suggerierte, automatisch Forschungsartikel per Mail passend zu den Themen zuzusenden. In einer Pflege-Gruppe auf Facebook stellte ich meine Plattform vor und Pflegende bekundetet sofort ihr Interesse und meldeten sich an. Da es bei diesem „Wizard of Oz”-Pretotyp keine funktionierende Automatisierung gab, habe ich das Versprechen trotzdem eingelöst, indem ich für einige Pflegekräfte händisch die Nursing Science News zusammengestellt habe. Ich habe wissenschaftliche Journals durchforstet und für jede:n eine persönliche Mail zusammengestellt — ganz simpel mit Titel, Abstract, Link und einigen Fakten zu den Studien (Sprache, Open Access, Art der Publikation).

Studien sind im Praxisalltag relevant

Ich sprach nach einigen dieser Test-Mails mit den Abonnent:innen. Sie sagten mir, dass sie ohne die Mails nie auf diese Artikel gekommen wären. Auch der Moment, in dem ein aktuelles berufliches Problem mit einer Studie „matched“, die genau dieses Problem behandelt, finden die Pflegenden super.

Es zeigte sich aber auch, dass in der Pflegeforschung Open Access nicht so sehr verbreitet und die Bereitschaft für Artikel zu zahlen gering ist. Außerdem sind die englische Sprache und die akademische Ausdrucksweise für die Pflegenden eine große Herausforderung. In Deutschland durchlaufen Pflegekräfte eine praxisorientierte dreijährige Berufsausbildung mit Theorieunterricht an dafür vorgesehenen Berufsschulen, den sogenannten Pflegeschulen. Im europäischen Raum, wie etwa der Schweiz, wird der Beruf überwiegend an Hochschulen oder Universitäten gelehrt und ist mit einem Bachelor- oder sogar Masterstudiengang verbunden. Je nach Ausbildungsort im deutschsprachigen Raum gibt es hier also aktuell noch ein Gefälle, was den Umgang mit Studienliteratur angeht.

Sowohl in der Pflege als auch in anderen Bereichen kann die automatische Distribution von Nischenthemen ist ein wichtiger Schritt sein den Zugang zu wissenschaftlichen Studien zu erleichtern. Doch für Nichtwissenschaftler:innen muss dies mit einer automatisierten “Übersetzung” in einfache Sprache kombiniert werden.

Wie geht es weiter?

Auch nach dem R&D Fellowship werde ich in den nächsten Monaten weitere Experimente mit den Nursing Science News durchführen. Wie kann eine Personalisierung von Studien zu Pflegethemen noch besser funktionieren und was benötigen die Pflegekräfte, um die Studien lesen und verstehen zu können.

Und wenn ein Data Scientist oder ein:e Programmierer:in Lust hat, mit mir auch an einem funktionierenden Prototypen zu arbeiten, freue ich mich, wenn ihr euch meldet: hallo@arturkrutsch.de

 

Zum Weiterlesen


AI writing bots are about to revolutionise science journalism: we must shape how this is done. Mico Tatalovic, 2018.
doi.org/10.22323/2.17010501

Siggener Impulse 2019: Künstliche Intelligenz als Herausforderung für die Wissenschaftskommunikation. https://bit.ly/3XfO66W


Artur Krutsch

Artur Krutsch (@arturkrutsch) hat Fotografie, Visuelle Kommunikation und Wissenschaftsmarketing studiert. Nach einem Volontariat bei Wissenschaft im Dialog (@wissimdialog) arbeitet er als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (@mpib_berlin).

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