Media Research & Development | 06.11.2020

Talk to me – Gamification gegen Verschwörungstheorien

Ein Spiel, das dir hilft, mit Verschwörungstheoretikern auf konstruktivere Weise zu kommunizieren. Victoria Schrank entwickelte die Idee als R&D Fellow im Media Lab Bayern. In diesem Blog gibt sie ein Inside zur Entwicklung des Spiels.

Inhaltsverzeichnis

  1. Ruhe bewahren und Einfühlungsvermögen zeigen
    1. Ruhe bewahren und Einfühlungsvermögen zeigen
    2. Höre zu und zeige Interesse daran, ihren Standpunkt zu verstehen
    3. Fragen statt predigen

Das Frühjahr 2020 hat die Welt in vielerlei Hinsicht verändert. Damals im März verloren Menschen ihren Arbeitsplatz, einige kämpften mit Angstzuständen, andere kämpften gegen das neue Virus Covid-19. Und dann gab es diejenigen, die gezwungen waren, ihre Freunde oder Familienmitglieder in einem beunruhigenden neuen Licht zu sehen. Was tust du, wenn eine Person, die du bewunderst und um du dir Sorgen machst, an Covid-19-Verschwörungen glaubt?Als mir eine Freundin von dem tiefgreifenden staatlichen Komplott hinter Covid-19 erzählte und darauf bestand, dass das Virus nicht real sei, war ich äußerst verwirrt. Einerseits lehnte sie die Argumente, Fakten und seriösen Quellen, die ich mit ihr teilte, ab. Andererseits wusste ich, dass es auch nichts bringen würde, sie als verrückt zu bezeichnen. Außerdem ist sie eine der klügsten Personen, die ich kenne. Ich habe wochenlang mit diesem Dilemma gerungen. Was tun, wenn deine Freundin eine Verschwörungstheoretikerin ist: Konfrontierst du sie, meidest du das Thema oder meidest du sogar die Person?

So kam ich auf die Idee, eine Möglichkeit zu entwickeln, wie man Menschen dabei helfen kann, konstruktiver und weniger frustrierend mit Freunden, Partnern oder Verwandten zu reden, die an Verschwörungstheorien glauben.

Während meiner Forschung im Media Lab Bayern sprach ich mit über 20 Personen aus Europa, den USA und Israel, deren Angehörige an Covid-19-Verschwörungstheorien glauben. Was sie alle gemeinsam hatten, war, dass sich ihre Beziehungen aufgrund der Überzeugungen ihrer Verwandten und Freunde erheblich verschlechtert hatten.

Außerdem hatten meine Interviewpartner verschiedene Kommunikationsansätze ausprobiert, durch die deutlich wurde, dass bessere Argumente ≠ bessere Chancen haben, ihre Ansichten zu ändern. Viele Menschen, mit denen ich sprach, erlebten ein defensives oder sogar aggressives Verhalten, während sie versuchten, ihr Gegenüber mit Argumenten und Fakten zu überzeugen. Hier ein paar Beispiele (*Namen sind geändert):

  • Anna* aus Amsterdam über ihren Freund: "Die Konfrontation mit Fakten und Argumenten macht es noch schlimmer. Das bringt ihn in die Defensive."
  • Linda* aus Berlin über ihren Vater: "Konfrontation mit Fakten und Argumenten macht es noch schlimmer. Zum Beispiel: Direkt zu sagen was falsch ist, dass Fakten nicht stimmen, die Person persönlich angreifen, Theorien kritisieren, oder zu sagen, dass das, was er glaubt Quatsch ist.”
  • Tom* aus Tel Aviv über seinen Freund: "Er macht sich über Theorien lustig".

Allerdings habe ich bei den erfolgreicheren Ansätzen gemeinsame Muster entdeckt. Die Leute berichteten mir, was gut funktioniert hat:

"Auf Lücken in der Logik hinweisen, freundlich sein", sagte mir Adam aus den USA. Tom aus Tel Aviv meinte: "Logische Trugschlüsse aufdecken indem man Fragen wie etwa, Bist du dir da sicher oder Klingt für mich ein bisschen wie eine Verschwörung? stellt” und Paul aus Berlin berichtete: "Mitgefühl zu zeigen, persönliche Erfahrungen zu teilen, nicht zu versuchen, im Voraus zu überzeugen, hat einige Fortschritte gezeigt"

Ruhe bewahren und Einfühlungsvermögen zeigen

Hier sind meine Top 3 Techniken, die zu einem besseren Dialog mit Menschen beitragen, die in Verschwörungstheorien verstrickt sind:

Ruhe bewahren und Einfühlungsvermögen zeigen

Auch wenn du wütend bist, bleibe respektvoll und höflich. Versuche, die zugrunde liegenden Ängste und Bedürfnisse der anderen Person zu verstehen. Blockaden, Einschränkungen und finanzielle Instabilität sind keine alltäglichen Dinge. Eine Anfälligkeit für Verschwörungstheorien kann eine Reaktion auf Stress sein.

Höre zu und zeige Interesse daran, ihren Standpunkt zu verstehen

Wenn die Situation unter dem Motto "Ich bin hier, um deine Meinung zu ändern, weil du falsch liegst " angegangen wird, werden viele Menschen defensiv oder sogar aggressiv reagieren. Erkläre dein Interesse daran, mehr über die Haltung zu erfahren, anstatt zu versuchen, sie von vornherein zu überzeugen. Du kannst sogar fragen, ob eine Person zu einer Diskussion bereit ist. Das macht das Gegenüber auch offener dafür, sich deine Punkte anzuhören. Hier gilt: Vertrauen wirkt Wunder.

Fragen statt predigen

Stelle deinem Gegenüber Fragen, um erste Zweifel zu entfachen. Du musst dem/der Verschwörungstheoretiker:in das Gefühl geben, dass er/sie die Wahrheit über seine/ihre Theorie von sich aus aufdeckt. Diese Technik wird die sokratische Methode genannt. Sie kann Menschen in die Lage versetzen, Fehler und logische Irrtümer in ihren Argumenten zu erkennen.

Die Ergebnisse meiner qualitativen Forschung werden auch durch eine Reihe von Forschungsarbeiten und Büchern, die ich zu diesem Thema gelesen habe, untermauert. Das sind unter anderem: Amadeu Antonio Stiftung. No word order; Imhoff R. & Lamberty P. A Bioweapon or a Hoax? The Link Between Distinct Conspiracy Beliefs About the Coronavirus Disease (COVID-19) Outbreak and Pandemic Behavior; Fake Facts von Nocun K. & Lamberty P. und Non-Violent Communication von Rosenberg M. .

Wenn man über ein so kontroverses Thema spricht, kann es leicht emotional und angespannt werden. Wenn das passiert, neigt man dazu, zu vergessen, was gut läuft und was nicht. Zudem geschehen solche Interaktionen oft unerwartet, so dass man keine Zeit hat, sich darauf vorzubereiten.

Deshalb wollte ich ein interaktives und unterhaltsames Werkzeug schaffen, um diese gewaltfreien Kommunikationstechniken in einer sicheren Umgebung zu üben. Indem du herausfindest, was dich stärker macht, und wenn du die verschiedenen Methoden vorher übst, kannst du Gespräche mit Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, konstruktiver gestalten.

Auf der Grundlage meiner Forschungsergebnisse stellte ich einen Prototyp mit sieben Szenarien zusammen. Die Spieler wählen eine Antwort aus, die sie in einer bestimmten Situation geben würden. Diese Entscheidung bestimmt, wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Nach jeder Situation erhalten die Spieler eine Erklärung darüber, wie ihre Antwort beim Gegner ankommt, welche Auswirkungen sie auf den Rest des Gesprächs haben könnte, sowie Tipps, wie sie sich am besten verhalten sollten.

Ich wandte mich an den Autor einer der Forschungsarbeiten, Prof. Dr. Roland Imhoff. Er war so freundlich, mich bei inhaltlichen Aspekten im Spiels zu helfen. So gab er mir Hinweise zu konkreten Situationen. Durch seinen Input wurde nochmals klar, dass es nicht immer eine richtige oder falsche Antwort gibt. Es gibt zum Beispiel eine Situation im Spiel, in der man sich entscheiden muss, den Social Media Post eines Familienmitglieds online zu kommentieren oder mit der Person unter vier Augen zu sprechen. Sein Feedback zu dieser Situation: "Dieser Punkt lässt das heikle Thema der deskriptiven sozialen Normen außen vor. Wenn es das Ziel ist, das Familienmitglied privat zu überzeugen (nicht zu überreden!), könnte es weniger Gegen-Reaktionen hervorrufen. Denn die Person kann ihre Aussage in der Öffentlichkeit widerspruchsfrei aufrechterhalten. Dadurch wird aber gleichzeitig anderen Menschen vermittelt, dass es normal ist, die Sicherheitsvorkehrungen in Bezug auf Covid-19 einfach zu ignorieren, und niemand etwas dagegen hat.

Es stellt sich also wirklich die Frage, ob die Rettung eine Familienmitglieds vor Verschwörungstheorien ihr einziges Ziel ist (und Sie kümmern sich nicht um die anderen, die sich von ihrem Posten ermutigt fühlen, ebenfalls die Sicherheitsmaßnahmen zu ignorieren)".

Derzeit führe ich eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext durch, um Geld für die Implementierung des Spiels zu sammeln. Wir haben bereits mit dem Aufbau des Produkts begonnen und hoffen, bis Ende November genügend Mittel zu erhalten. Bisher haben wir einiges Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhalten indem verschiedene Magazine und Zeitungen unsere Geschichte aufgegriffen haben.

Newsletter

Alles, was ihr zu Startups und Medieninnovation wissen müsst, gibts regelmäßig in unserem Newsletter!

Abonnieren