Abschlussarbeiten im Media Lab | 10.09.2024
Daten und Karten: Eine Vision für den Lokaljournalismus
Data-Driven Storytelling im Lokaljournalismus? Was heute wie eine Utopie klingt, hat das Potential, Lokalzeitungen frischen Wind zu verleihen. Mit kreativen Ansätzen und dem Fokus auf Geodaten können selbst kleine Redaktionen die Berichterstattung modernisieren und ihr vielschichtiges Publikum neu begeistern.
Bei interaktiven Karten, personalisierten Datenvisualisierungen und Scrollytelling denkt man an die großen nationalen Medienhäuser und deren investigative Recherchen, zum Beispiel über die Panama Papers. So gut wie nie hat man alltägliche Artikel aus der heimatlichen Lokalzeitung im Kopf. Wie auch? Die Überschrift „200 Schweine aus dem Schlachthof gestohlen“ löst nun mal keine Hightech-Goldstandard-Assoziationen der Artikelgestaltung aus. Außerdem ist deutscher Lokaljournalismus nicht gerade mit einem Image von Innovationsoffenheit und Fortschrittsgeist behaftet. Allerdings sollte sich die Branche modernisieren, um auch zukünftig das Publikum für sich zu gewinnen. Wenn aktuell namhafte nationale Medien immer mehr auf interaktive visualisierte Datenstories setzen, lässt sich das nicht auch auf lokaler Ebene umsetzen?
Geodaten in der Berichterstattung als USP des Lokaljournalismus
Mit data-driven Storytelling gibt es in einem Artikel nicht nur die klassische Geschichte, sondern zusätzlich auch Daten, die das Fundament für die Argumentation liefern. Diese Daten bekommen Leser:innen nicht einfach in Zahlenkolonnen aneinandergereiht hingeklatscht, sondern als visuelle Abbildungen dargestellt - in Form von (interaktiven) Grafiken, beispielsweise als Karten, Balken oder Tortendiagramme.
Zwei der Besonderheiten des Journalismus auf lokaler Ebene haben mit Geoinformationen zu tun. Erstens: der sehr begrenzte geographische und soziale Raum, über den berichtet wird. Zweitens: die Eigenschaft, dass jeder Artikel im Lokalen eine spezielle Ortsreferenz innerhalb des geographischen Berichterstattungsgebiets aufweist. Diese beiden Eigenschaften schreien regelrecht nach einer beliebten Visualisierungsform: Kartendarstellung!
Und damit rein ins Kartenszenario, rein in einen Prototyp dessen, wie ein mit Daten visualisierter Lokaljournalismus aussehen könnte: Ein:e Leser:in öffnet die Newsseite der Lokalzeitung. Zu sehen ist eine Karte des Wohnorts. Auf der Karte sind verschieden große Kreise. Die Größe der Kreise spiegelt die Anzahl der veröffentlichten Artikel wider, die sich auf einen Ortspunkt beziehen. Ortspunkte können alles sein: Der Schlachthof, über dessen Fortführung die Region seit Jahren. Eine Feierstraße, deren Lärm den Anwohnern tödlich auf die Nerven geht. Ein See, an dessen Ufern die Gänsepopulation explodiert. Anders als gewohnt finden sich Artikel in der Übersicht nicht nach Erscheinungsdatum oder Themenbereichen geordnet, sondern nach Orten. Auf einen Blick können Leser:innen erkennen, wo in der Heimat viel los ist.
Mit Klick auf einen Kreis, öffnet sich rechts eine Liste mit Artikeln, die Geschehnisse an diesem Ort thematisieren.
Dieser Ansatz hat einen entscheidenden Vorteil: Bereits im Archiv bestehende Artikel finden eine neue Form der visuellen Abbildung – nämlich die Karte. Dieser Grundgedanke lässt sich für viele verschiedene Nutzungsszenarien erweitern: Polizeimeldungen nicht chronologisch ausspielen, sondern auf der Karte an dem Ort des Geschehens. Ein Filter, der für unterschiedliche Zielgruppen verschiedene Artikel auf der Karte anzeigt (Neu in der Stadt? Dann eher ein Überblick über die verschiedenen diskursiven Hotspots der letzten Jahrzehnte!). Oder eine Karte, die die 24/7-Selbstvermarktungsautomaten der regionalen Landwirtschaft aufzeigt.
Virtuelle Stadtführungen bei der Lokalzeitung
Ein anders gearteter Anwendungsfall könnte so aussehen: Urlaub, Geschäftstermin, Besuch bei den Großeltern in der Kleinstadt. Vor Ort steppt weder der Bär noch sonst ein Event, aber es gilt freie Zeit zu füllen. Gerade in Kleinstädten oder Dörfern gibt es nur selten Stadtführungen. Eine Lokalzeitung könnte an dieser Stelle ansetzen und virtuelle Stadtführungen anbieten. Gut recherchierte und unterhaltsam geschriebene Artikel zu historischen Ereignissen oder Gebäuden des Ortes liegen meist im Archiv. Auf eine atmosphärische Stadtkarte gepackt und in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht, kann die Lokalzeitung die Route in Form eines Tagespasses an Besucher:innen verkaufen.
Interaktive Grafiken in klassischen lokalen Artikeln
Neben dem Kartenansatz auf der Meta-Ebene haben auch die klassischen Artikelthemen im Lokalen das Potential für Datenvisualisierungen. Alle paar Monate drucken Lokalzeitungen beispielsweise Arbeitsmarktzahlen ab: Zahlen zu unbesetzten Stellen nach Gewerbe durch zig Kommata getrennt aufgelistet. Zahlen zu unbesetzten Ausbildungsstellen mit zig weiteren Kommata aneinandergereiht. Steile These: Die wenigsten lesen solche Artikel mit Vergnügen. Bei noch wenigeren bleiben nachhaltige Erkenntnisse hängen. Eine Abhilfe kann eine interaktive Data-Story zu diesem Thema sein.
Die Kreise stehen hier für Zahlen, das ermöglicht einen intuitiven Überblick über die Größenverhältnisse – also beispielsweise, wie viele Stellen im Sozialwesen im Vergleich zu anderen Branchen unbesetzt sind. Die Visualisierungen können im Zentrum des Artikels stehen, der Text kann sich dadurch viel mehr um die Interpretation und Einordnung drehen. Datenelemente und zugehörige Textpassagen können für einen angenehmeren Lesefluss in gleicher Farbe hervorgehoben werden. Solche Beispiele zeigen, dass es möglich ist, aus den alltäglichen Artikeln des Lokalen kreative, tiefergehende data-driven Storys zu entwickeln.
Weniger verfügbare Daten auf lokaler Ebene - ein Hindernis für Data-Stories?
Ein wesentliches Problem ist die Verfügbarkeit von relevanten Datensets auf der Gemeinde- oder Kleinstadtebene. Betrachtet man diese Einschränkung allerdings von der anderen Seite wird aus dem Nachteil schnell ein Vorteil: Die Auswertung und vor allem die technische Visualisierung der Daten ist deutlich einfacher umzusetzen, wenn nur kleine Datenmengen zum Einsatz kommen. Und genau das kann Lokalredaktionen zugutekommen. Denn dort gibt es meistens aus Ressourcengründen keine eigene Abteilung für die Entwicklung solcher Formate. Deshalb der Appell: Klein starten, gewöhnliche Themen und Daten kreativ visualisieren und erzählen. Dann ist große Veränderung möglich.
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