Media Trends | 14.02.2023
Debatten retten den Journalismus
Die öffentliche Debatte ist kaputt. Doch was kann Journalismus dagegen tun? Und ist die Debattenpflege überhaupt seine Aufgabe? Im R&D Fellowship hat sich Barbara Maas mit diesen Fragen beschäftigt - und kann jetzt dabei helfen, Journalismus empathischer zu machen.
Inhaltsverzeichnis
- Liebe Barbara, wie bist du darauf gekommen, dass das Thema Empathie ein Schlüssel sein könnte, um journalistische Rollenbilder neu zu denken?
- Kannst du erklären, was du damit meinst?
- Du hast erzählt, dass du seit 2018 über diese Themen nachdenkst. Wie hat sich dein Denken dazu in den letzten sechs Monaten, also im R&D Fellowship, verändert?
- Was würdest du denn Journalist:innen sagen, die den Austausch mit der Öffentlichkeit schon wichtig finden, aber von jahrelangen Shitstorms und Hasskampagnen desillusioniert sind?
- Und wer sind die Journalist:innen, die das tun können, mithilfe deines Toolkits?
Die wichtigsten Journalist:innen sind die, die die besten Geschichten schreiben - oder? Was Journalismus ist oder sein kann, wo er vielleicht in den Aktivismus abrutscht und wie sich das Berufsbild im 21. Jahrhundert verändern sollte, ist der Gegenstand großer Diskussionen in der Branche. Eine, die diese Debatte schon lange beobachtet, ist Barbara Maas. Die Journalistin und Coachin hat sich im R&D Fellowship damit beschäftigt, wie ein Journalismus aussehen könnte, der Debatten fördert statt Polarisierung, und indem Journalist:innen empathischer mit ihren Nutzer:innen umgehen.
Liebe Barbara, wie bist du darauf gekommen, dass das Thema Empathie ein Schlüssel sein könnte, um journalistische Rollenbilder neu zu denken?
Barbara: Ich habe 2018 angefangen, mich mit Design Thinking zu befassen. Dabei ist mir aufgefallen, dass in den Nutzerinterviews und generell in der Nutzerforschung ganz anders gefragt wird und ganz anders mit Leuten umgegangen wird als in journalistischen Interviews. Journalist:innen sehen sich schon oft als eine andere, übergeordnete Instanz. Und da habe ich mich gefragt: Wie sähe ein Journalismus aus, der die Menschen, ihre Erfahrungen und Perspektiven auch so in den Mittelpunkt stellt?
Kannst du erklären, was du damit meinst?
Barbara: Also, zuerst muss ich sagen, dass ich da natürlich nicht alle Journalist:innen über einen Kamm scheren will. Es gibt super viele empathische Journalistinnen und Journalisten, gerade im Lokalen, wo man seine Gesprächspartner:innen im Zweifelsfall am nächsten Tag an der Bäckereitheke wiedertrifft. Und natürlich muss man generell empathisch sein, um gute Geschichten auszugraben. Aber trotzdem gibt es gerade auch in der journalistischen Ausbildung doch noch oft dieses Ideal, hartnäckig zu sein, Antworten zu erzwingen oder zu provozieren und hart nachzufragen. Im Investigativjournalismus ist das ja auch genau richtig, aber wenn man Debatten fördern möchte, wenn man will, dass sich Leute öffentlich gemeinsam eine Meinung bilden können - dann sind andere Praktiken wichtiger.
Wie ein solcher Journalismus entstehen könnte, zeigt Barbara mit ihrem Abschlussprojekt aus dem R&D Fellowship. “Journalism Spaces” heißt das Produkt, es ist ein Workshop- und Selbstreflektionstool für Journalist:innen, die die Förderung gesunder Debatten als ihre Aufgabe sehen. 66 Karten helfen dir dabei, die eigene Rolle zu definieren, Ziele abzustecken und klare Grenzen zu ziehen - mit dem Ziel, am Ende empathische und depolarisierende Formate und Produkte zu entwickeln.
Du hast erzählt, dass du seit 2018 über diese Themen nachdenkst. Wie hat sich dein Denken dazu in den letzten sechs Monaten, also im R&D Fellowship, verändert?
Barbara: Ich habe mit vielen Journalistinnen und Journalisten über dieses Thema gesprochen und dabei wahnsinnig viel gelernt. Wie sehen sie eigentlich ihre Rolle, wofür brauchen und wollen sie Tipps? Das Bonn Institute beschäftigt sich ja sowieso viel mit konstruktivem Journalismus und auch mit Debattenkultur - und das Team verstand meine Vision und meine Fragen sofort. Ich habe aber auch mit Leuten gesprochen, die damit gar nichts anfangen konnten, die das gar nicht als ihre Rolle gesehen haben. Das fand ich interessant und das hat mich auch von meiner Meinung weggebracht, dass ALLE Journalisten und Journalistinnen die gesellschaftliche Debatte immer im Kopf haben müssen.
Manche Medienschaffende wollten vor allem spannende, unterhaltsame Geschichten erzählen. Oder kuratieren. Ich habe also diese anderen Rollen auch mit in das Kartenset aufgenommen, denn die sind ja auch legitim. Es ist mir wichtig, dass es im Journalismus verschiedene Rollen geben kann, und viele vermutlich gleichzeitig auch mehrere davon einnehmen. In einer komplexen Welt nur eine Rolle zu haben, wäre vermutlich auch unterkomplex. Es kommt auf Typ, Situation und Thema an.
Was würdest du denn Journalist:innen sagen, die den Austausch mit der Öffentlichkeit schon wichtig finden, aber von jahrelangen Shitstorms und Hasskampagnen desillusioniert sind?
Barbara: Mir geht es nicht darum, mit Leuten zu sprechen, die andere bedrohen oder die den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen haben. Mir geht es darum, den Austausch zwischen verschiedenen Positionen des demokratischen Spektrums zu fördern. Das ist auch das, was ich in den Kommentarspalten als Need wahrnehme: Die Leute wünschen sich empathischen Austausch, und sind durchaus bereit, sich mit anderen Ansichten auseinanderzusetzen - wenn sie von der „anderen Seite“ auch Empathie erfahren und sich gesehen fühlen. . Hier kann Journalismus ansetzen, um den gesellschaftlichen Diskurs zu fördern.
Und wer sind die Journalist:innen, die das tun können, mithilfe deines Toolkits?
Barbara: Alle, die Lust haben, andere Formate zu entwickeln, die mit Debatten experimentieren wollen und darin auch ihre demokratische Aufgabe als Journalist:innen sehen. Alle, die mal etwas Neues ausprobieren wollen. Das ist viel wichtiger als die Größe des Unternehmens oder das Anstellungsverhältnis. Und zwei Stunden Zeit für einen Workshop sollte man haben!
Barbaras Arbeit zeigt, dass Journalismus noch mehr Facetten hat als die Suche nach der besten Geschichte. Auch, wenn das immer wichtig bleiben wird. Wer sich als vierte Gewalt versteht und Verantwortung für die Demokratie als Teil seines Berufsbildes sieht, für den gibt es jetzt noch mehr und noch strukturierte Möglichkeiten, Ideen und Formate zu entwickeln.
Die Theorie und Praxis hinter Barbaras Arbeit könnt ihr ab jetzt hier herunterladen - und wer direkt mit Barbara Kontakt aufnehmen will, kann das hier oder über ihre Website tun.