Abschlussarbeiten im Media Lab | 15.10.2024

Ein Chatbot-Berater zu KI für Medienhäuser

Die meisten Medienhäuser haben mittlerweile umfangreiche Datenbanken zu KI-Use-Cases aufgebaut. Nun geht es darum, passende Anwendungsfälle und passende Tools zu wählen oder zu verwerfen. Ein Chatbot weiß Rat.

Inhaltsverzeichnis

  1. Für die Praxis: Eine KI-Starthilfe für kleine Redaktionen
  2. Theoretisch betrachtet: Aktuelle KI-Phänome in deutschen Medienhäusern
    1. Nicht jede KI-Anwendung passt zum Geschäftsmodell Journalismus
    2. KI-Automatisierung verändert das Jobprofil von Journalisten
    3. Wirre Branchenstandards, laufende Gerichtsverfahren und Misstrauen erzeugen unnötigen Druck
    4. Eine passive statt aktive Zukunftsgestaltung
  3. Impulse für KI-Forscher

Für die Praxis: Eine KI-Starthilfe für kleine Redaktionen

Für meine Masterarbeit habe ich Interviews mit 11 deutschen Medienhäusern und 8 männlichen Experten aus dem In- und Ausland geführt. Im Interview sollten sie negative und positive Erfahrungen mit KI-Projekten teilen, aber auch solche Projekte schildern, die im Augenblick pausiert oder zurückgehalten werden. Herausgekommen ist dabei eine umfangreiche Sammlung an Erfahrungen mit KI-Projekten in der deutschen Medienlandschaft.

Um die Erfahrungen greifbarer zu machen, habe ich zwei praxisnahe Tools entwickelt: eine Checkliste zum Ankreuzen und einen chattenden Berater. Beide Tools sollen insbesondere kleineren Redaktionen den Einstieg in KI-Projekte erleichtern.

Theoretisch betrachtet: Aktuelle KI-Phänome in deutschen Medienhäusern

In meiner Studie bin ich zudem auf folgende KI-Phänomene in deutschen Medienhäusern gestoßen.

Nicht jede KI-Anwendung passt zum Geschäftsmodell Journalismus

Die große Mehrheit der deutschen Verlage schließt mittlerweile komplett aus, KI-generierte Inhalte zu veröffentlichen. Denn solche Inhalte sind oft ungenau und gefährden die Glaubwürdigkeit und somit die „value proposition“ ihrer Marken. In meinen Interviews äußerten vor allem Softwareanbieter immer wieder Unverständnis gegenüber dieser vorsichtigen Haltung der Verlage. Trotz aller Innovationsfreude sind Verlage allerdings keineswegs dazu verpflichtet, Praktiken einzuführen, die das eigene Geschäftsmodell schädigen und obendrein traditionelle Nachrichtenwebsites und die eigene App überflüssig machen könnten. Es sei denn, die Konkurrenz beginnt damit …

KI-Automatisierung verändert das Jobprofil von Journalisten

KI verändert den Arbeitsalltag von Journalisten zum Positiven, indem sie Routineaufgaben übernimmt. Die Experten gehen insbesondere davon aus, dass Produktionsaufgaben in Zukunft wegfallen könnten. Der Journalismus wird industrialisiert. Eine fortschreitende Automatisierung verändert somit auch das Jobprofil von Journalisten. Sprachmodelle wie ChatGPT können die  journalistische Arbeit einerseits aufwerten und das Wohlbefinden derjenigen Mitarbeiter verbessern, die KI-Tools für ihre Arbeit zu nutzen wissen oder besonders gerne auf dem Feld recherchieren oder neue Themen aufstöbern. Andererseits könnten geklonte Stimmen, Avatare und KI-generierte Texte das Wohlbefinden von Journalisten mindern, die lieber ohne KI-Tools schreiben und lieber selbst moderieren.

Wirre Branchenstandards, laufende Gerichtsverfahren und Misstrauen erzeugen unnötigen Druck

Meine Stichprobe brachte auch drei Phänomene zutage, die scheinbar jede Menge Verwirrung stiften und zusätzlichen Druck erzeugen:

Auffällig ist, wie oft meine Interviewpartner Bedenken äußerten, traditionelle Branchenstandards nicht mehr erfüllen zu können. Diese Befürchtungen standen häufig übertrieben im Mittelpunkt der Gespräche. Dabei tut sich etwas. Nach zwei Jahren hat fast jedes Medienhaus individuelle KI-Guidelines entwickelt. Als Erfolg kann gelten, dass nach zwei Jahren bereits zwei neue Standards entstanden sind: der Human-in-the-loop-Ansatz (sprich: nichts wird ohne menschliche Kontrolle veröffentlicht) und das explizite Kennzeichnen von geklonten Stimmen. Allerdings sorgen sich die Experten in mancher Hinsicht zu Recht. Mitunter fehlt eine branchenübergreifende Definition von synthetischen Inhalten sowie gemeinsame Richtlinien, wie Journalisten Sprachmodelle überhaupt nutzen dürfen. Umstritten ist etwa die Frage, ob ein mit Hilfe eines Sprachmodells verbesserter Text ein journalistisches Gütesiegel verdient. 

Zweitens offenbarte die Studie juristische Wissenslücken unter Medienmanagern. Lediglich vier Experten äußerten sich zur konkreten Gesetzgebung, was darauf hindeutet, dass fünfzehn Interviewpartner dieses Thema unbewusst umschifften. Dabei gibt es bereits einige wissenschaftliche Arbeiten, die mögliche Konsequenzen von Gerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen durch KI-Modelle, zum Beispiel DALL.E oder ChatGPT, skizzieren. Ein vollständiges Verbot solcher Modelle erscheint dabei als eher unwahrscheinlich. Es könnte sogar sein, dass die Urteile wenig Einfluss auf konkrete Use Cases haben werden und keine Rolle für das operative Geschäft spielen.

Drittens teilten Interviewpartner vermehrt Misstrauen gegenüber nicht-europäischen KI-Modellen sowie die Sorge, versehentlich Trainingsdaten (zum Beispiel Informationen aus Artikeln) umsonst zu verschenken. Für Kopfzerbrechen sorgt auch, mit welchen Daten Sprachmodelle (z.B. ChatGPT) trainiert worden sind. Kleinere Nachrichtenorganisationen, die nicht beabsichtigen, Daten zu verkaufen, scheinen hingegen pragmatischer vorzugehen und haben offenbar weniger Bedenken bei der Nutzung von Sprachmodellen.

Eine passive statt aktive Zukunftsgestaltung

Obwohl die Branche KI allerorts als wegweisende Technologie feiert, nimmt die Mehrheit der befragten Medienhäuser eine abwartende Haltung ein. Generative Suche und Partnerschaftsabkommen sind zwei gute Beispiele dafür, wie die meisten Medienhäuser passiv auf die Zukunft warten, anstatt aktiv die Zukunft nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Dabei schlummern unter der Oberfläche vielversprechende Perspektiven, die mit mehr Selbstbewusstsein kommuniziert werden sollten.

Zu solchen Visionen zählen unter anderem das Konzept des „handmade Journalismus“ in einem verschmutzten Informationssystem, ein Open-Licensing-Modell für Trainingsdaten, Special-Purpose-Chatbot-Agenten und Avatare, die Interviews führen. Auch denkbar sind Journalisten, die als Drehbuchautoren für Influencer im Hollywood-Stil agieren, Verlage, die als hochwertige Influencer-Agenturen dienen, und Redaktionen, die von Einzelpersonen betrieben werden.

Impulse für KI-Forscher

Apropos Zukunft: Einige Kommentare meiner Interviewpartner deuten darauf hin, dass Redakteure möglicherweise Anreize haben, ihre Nutzung von Sprachmodellen wie ChatGPT zu verschleiern.  Zudem ist die Interaktion zwischen talentierten bezahlten Autoren und Sprachmodellen bislang nur unzureichend erforscht, genauso wie mögliche Konsequenzen von Gerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen durch Sprachmodelle. Mindestens ebenso wertvoll wäre es, ein journalistisches Gütesiegel in Zeiten von KI zu prototypen und wünschenswerte Zukunftsszenarien für Nachrichtenprodukte zu untersuchen. Könnten Nachrichten beispielsweise eines Tages ohne traditionelle Artikel, Webseiten oder App-Stores auskommen? Besonders spannend bleibt außerdem die Suche nach neuen Einnahmequellen durch KI, die aufwendige Recherchen gegenfinanzieren könnten.

Ann-Sophie hat nun das Förderprogramm für Abschlussarbeiten durchlaufen. Du hast auch ein spannendes Thema? Melde dich bei uns!

Ein Artikel von

Ann-Sophie Herzner

Ann-Sophie studierte im Master BWL (Entrepreneurship) an der FAU in Nürnberg, außerdem auch Ethnologie und Kunstgeschichte im Bachelor an der LMU München. Sie hat eine Schwäche für Frankreich und französische Literatur und absolvierte Praktika bei den Vereinten Nationen in Genf und beim ZDF in Paris. Für ihre Masterarbeit hat sie sich vorgenommen, ein Feld zu erforschen, auf dem pure Verwirrung herrscht. Sie findet, KI ist so ein Thema und hat deshalb einen Chatbot-Berater für Medienhäuser gebaut, die KI nutzen wollen, aber noch nicht wissen, wie.

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