Media Research & Development | 17.07.2020
Frischekur für den Lokaljournalismus
Alexandra Haderlein ist freie Multimedia-Redakteurin aus Nürnberg. Als Fan digitalen Journalismus‘ sucht sie nach kreativen Lösungen für Nutzer*innen, die die klassischen (Regional-)Medien verloren haben.
Mehr als 120 Personen habe ich während des R&D Fellowships befragt, ob Millennials ein Interesse an Lokalnachrichten haben, was sie gut finden und was sie bemängeln. Ich habe persönliche, stundenlange Gespräche geführt, an einem Millennial Lab des Thinktanks Vocer teilgenommen und einen offenen Fragebogen erarbeitet sowie ausgewertet – aufgrund der Corona-Regelungen waren direkte Gespräche vorerst nicht mehr möglich. Doch auch so erhielt ich ausführliche und vor allen Dingen eindrucksvolle Erkenntnisse, was Millennials vom derzeitigen Lokaljournalismus in ihrer Gegend halten.
53 der 100 per Fragebogen Befragten gaben an, sich über lokales Geschehen im Internet zu informieren – über das Online-Angebot der Zeitung ebenso wie per Google. 36 Befragte nannten Zeitungen als (meist sporadische) Informationsquelle (O-Ton: „wenn sie bei den Eltern rumliegen“) und jeweils rund ein Viertel der 100 Personen nutzt lokale Radio und TV-Programme. Social Media (vorrangig Facebook, Instagram und Whatsapp) sowie Nachrichtenapps nannten 20 von 100 Befragten. Mehrfachnennungen waren bei dieser Auswertung möglich und auch nötig. Denn die meisten gaben mehrere Informationskanäle an.
Was schriftlich kaum, dafür in den mündlich geführten Interviews sehr ins Gewicht fiel, war die persönliche Kommunikation zur Weitergabe von Informationen aus/über das lokale Umfeld. Dies bestätigt auch das Hans-Bredow-Institut, das den deutschen Teil für den jährlichen „Digital News Report“ des Reuters Institutes der University of Oxford erarbeitet (siehe Abbildung 60). Dort steht die persönliche Kommunikation bei den 25- bis 34-Jährigen nach der Lokalzeitung (online wie offline) an zweiter Stelle.
Die wesentlichen Erkenntnisse der von mir durchgeführten Umfrage lassen sich so zusammenfassen:
- Das Zeitungsangebot wird meist online statt gedruckt konsumiert. Je jünger, desto verdutzter der Blick bei der Frage nach einem Zeitungsabo.
- Millennials sehen die eigenen Themen nicht widergespiegelt und gehen hart mit den Lokalmedien ins Gericht. Tenor: zu viel Schrebergarten, Kaninchenzüchterverein und amtliches Mitteilungsblatt.
- Den lokalen Nachrichten wird Unausgewogenheit, Unsachlichkeit und zu wenig Objektivität vorgeworfen.
- Bemängelt wurden auch Oberflächlichkeit und Clickbait („Themen werden unnötig aufgeblasen“).
- Durch Fehler in Sprache und fachlichem Inhalt, stellen Millennials die Vertrauensfrage.
- Nutzer*innen kritisieren die Verunsicherung, die durch Bad News geschaffen wird.
Drei Viertel der Befragten haben jedoch durchaus Interesse an lokalen Informationen. Sie definieren Lokalnachrichten aber anders als die jeweils von ihnen zum Vergleich herangezogenen Lokalmedien. „Von der neuen Kita oder wenn der große Supermarkt bei mir im Viertel schließt, muss ich nicht in der Zeitung lesen. Das werde ich schon beim nächsten Einkauf erfahren.“ Sprich: einfach eine Zeitung für junge Leute zu machen funktioniert nicht. Es braucht eine andere Ansprache und relevantere Themen. Doch wie?
Mit der Webseite lokalblog-nuernberg.de, einer zugehörigen Facebook-Gruppe sowie dem kurze Zeit später initiierten Newsletter „Lokalbrief Nürnberg“ entwarfen die ersten Lokalblog-Pioniere gemeinsam mit mir ein Angebot für die Region, das neue Wege geht. Konkret vereinen wir agile Produktentwicklung mit konstruktivem sowie partizipativem Journalismus.
Durch die Einbindung der Nutzer*innen sowie der niedrigschwelligen Erreichbarkeit sind mein Team und ich nahbar. Wir sorgen für Transparenz und begegnen der Vertrauenskrise der Medien. Das bisherige Kundenfeedback bestätigt uns in unserem Handeln. Gleichzeitig fangen wir die Kritik an Bad News und Oberflächlichkeiten auf, indem wir auf seriös recherchierte, tiefgründige, lösungsorientierte Beiträge setzen. Was darunter zu verstehen ist, erkläre ich hier.
Mit dem Fokus auf ausschließlich lösungsorientierten Lokaljournalismus sind wir von www.lokalblog-nuernberg.de die ersten in ganz Deutschland. Die Facebookgruppe wächst beständig, ebenso die Zahl der Abonnenten des wöchentlichen Newsletters mit Klickraten von 50 Prozent aufwärts sowie Öffnungsraten um die 70 Prozent. Methoden und Tools, die ich im Prototyping Lab des R&D Fellowships kennengelernt habe, helfen mir seitdem verstärkt, unsere Ideen unter steter Kundenzentrierung auszuweiten und/ oder anzupassen.
Zugleich hat uns das bisherige Feedback auf den Newsletter auch gezeigt, dass wir mit unserem regionalen Angebot die Elterngeneration der Millennials ebenfalls erreichen. Das Interesse an einer modernen Art von Lokaljournalismus ist also keine Frage des Alters, sondern nach regionaler Verwurzelung und dem Wunsch, etwas zu verändern. www.lokalblog-nuernberg.de wird nach dem R&D Fellowship weitermachen, um das Verlangen nach einem optimistischeren (aber trotzdem realistisch fundierten) Blick auf die Region zu stillen. Denn Aussagen von Nutzer*innen wie diese machen auch uns Mut: „Durch Eure Art der Berichterstattung sehe ich nun viel mehr Facetten und Handlungsansätze in der Region. Ich habe jetzt richtig Lust, mich aktiv einzubringen.“ Oder wie es eine unserer Nutzerinnen neulich sagte: „Die Welt braucht Euer Angebot!“