Lab News | 22.07.2020

Innovation braucht Anarchie

Vor fünf Jahren sind die ersten Teams ins Media Lab Bayern eingezogen. In all den Jahren hat Media-Lab-Chefin Lina gelernt: Anarchie ist das, was Innovation wirklich vorantreibt.

Als mein Kollege Stefan Sutor und ich den allerersten Meeting-Tisch aus dem Kare-Outlet ins Media Lab Bayern geschleppt haben, habe ich es liebevoll den “anarchistischen Außenposten” genannt. Das Lab startete als Projekt der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) — allerdings an einem anderen Ort innerhalb Münchens, ohne irgendeine Verbindung zur Infrastruktur des Haupthauses. Das hat Abläufe nicht zwingend einfacher, aber in jedem Fall schneller gemacht. Die leeren Büros mit nichts als einem Internetzugang und ohne Anbindung an bestehende Strukturen haben vor allem eines geboten: Freiraum. Freiraum, Dinge neu zu denken. Dieser Außenposten war der beste Nährboden für Innovation.

Am 20. Juli 2015 haben die ersten vier Teams ausge-schnick-schnack-schnuckt, in welches Büro sie ziehen. Fünf Jahre, 44 Startups und 22 Millionen von ihnen eingesammeltes Funding, hunderte Prototypen und tausende Teilnehmer später bin ich überzeugt: Innovation braucht nicht einfach nur Mut. Innovation braucht anarchistische Außenposten.

Mut ist zu wenig. Mut ist nicht radikal genug, um wirklich durchzudringen. Natürlich bringt jedes Talent, jeder Intrapreneur, jeder Gründer bei uns Mut mit. Aber eben auch eine gehörige Portion “Ich mach das jetzt einfach so, egal ob wir das schon immer so gemacht haben”. Man kann nichts neu machen, ohne Altes abzuschaffen. 99% der Ideen gibt es schon. Der Großteil, wenn nicht gar alle Innovationen sind eine Verbesserung von bestehenden Dingen. Um es besser zu machen, muss also etwas weichen. Und um kurz zu beruhigen: Diese Innovations-Anarchie hat rein gar nichts mit der politischen Strömung zu tun. Aber sie teilt die Grundhaltung: Es gibt ein bestehendes System und hier passieren Dinge jetzt anders.

Ich habe lange überlegt, was ich zu fünf Jahren Media Lab Bayern possibly schreiben kann. Mein fantastisches Team im Media Lab Bayern hat die harten Fakten auf dieser Landingpage zusammengefasst, wer es noch bunter und lustiger mag, kann in unserem Innovation-Game einen Blick hinter die Kulissen werfen. (Wie toll ist das denn, wir haben ein Spiel! 😍)

Nach fünf Jahren Innovationsförderung in der Medienbranche habe ich das Gefühl, dass wir noch immer nicht radikal genug sind. So viele Probleme haben sich noch nicht gelöst. So viele Talente kündigen noch immer frustriert ihre Journalismus-Jobs und schenken ihre Skills der Marketing-Seite. So viele Produkte sind noch immer nicht erfunden.

Deshalb möchte ich ein Plädoyer für mehr Innovations-Anarchie halten, die die Medienbranche dringend braucht — in fünf Lektionen

Innovations-Anarchie, Lektion 1: Warte nicht auf Erlaubnis.

Ich bin ein großer Verfechter der “Probieren wir es halt und wenn ein Problem kommt, kümmern wir uns dann darum”-Methode. Das führt bisweilen zu kurzfristigem Chaos, hat aber einen ganz entscheidenden Vorteil: Man denkt sich nicht schon vorher alles kaputt und erstickt jede Idee im Ansatz.

Tatsächlich fühlen sich viel mehr Menschen nur wohl, wenn sie einen Plan haben, als man so denkt. Ganz ohne macht es natürlich auch keinen Sinn, aber das Startup mit der noch nie umgesetzten Idee möchte ich sehen, dessen 5-Jahres-Businessplan nach Ablauf der Zeit auf den Cent genau stimmt. Bei Dingen, die man noch nie gemacht hat, ist ein Plan naturgemäß lückenhaft. Ich finde, man spart sich viele Ressourcen, wenn man ihn nur rudimentär hinstellt, startet und dann schrittweise verfeinert.

Je schneller man einfach mal anfängt, desto schneller findet man auch Antworten auf die noch offenen Fragen. Wenn bislang in der Medienbranche immer noch Slides gemalt, Ressourcen beantragt, Konzepte geschrieben und Excel-Tabellen gefüllt werden müssen, erfordert es nicht nur Mut, sondern anarchistische Züge, einfach mal zu starten. Auch ohne offizielle Erlaubnis. Dich stört etwas? Fange doch einfach mal an, eine Lösung zu bauen.

Innovations-Anarchie, Lektion 2: Hinterfrage alles.

Bereits vor 2 Jahren haben wir auf unsere Weihnachtskarte geschrieben: “Disruption is to challenge every assumption”. Was für ein Mantra das ist, ist mir erst in den letzten Wochen klar geworden, seit ich mehr darüber nachdenke, wie ich die Grundwerte des Labs für unser wachsendes Team und all die neuen Projekte sichtbar machen kann. Alles zu hinterfragen ist so ein Grundwert. Jedes große Unternehmen kennt die “Das haben wir schon immer so gemacht”-Falle. Es ist ja auch bequem, in dieser Falle. Unser Kopf funktioniert in vielen Bereichen nur mit Routinen.

Neue Ideen entstehen halt leider nur dann, wenn man die Routine hinterfragt. Und zwar jedes Detail davon. Jede Annahme, die man macht. Das ist höllisch anstrengend, weil es so viel Nachdenken erfordert. Warum machen wir das nochmal? Ist das die beste Variante für unsere Nutzer? Wirklich? Geht es nicht noch einfacher für sie? Mit noch mehr Mehrwert?

Die beste Version ist für mich immer das Mittel zwischen einfacher Nutzung und größtmöglichem Mehrwert für den Nutzer. Mit diesem Hintergedanken optimieren wir ständig alles. Auch während Dinge laufen. Bei einem Plan zu bleiben, während man sieht, dass der Plan nicht funktioniert, ist bequem, aber unnötig. Ihn umzuwerfen während man rennt, erfordert nicht nur Mut, sondern Anarchie.

Dabei hilft unser Motto im Media Lab: Alles ist ein Prototyp. Die Welt auf diese Weise zu sehen, macht unfassbar frei. Frei von Erwartungsdruck. Wenn alles ein Prototyp ist, heißt das automatisch, dass nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist, die nächste Version herauszubringen. Nichts muss das finale Produkt sein, ergo muss auch nichts bei Versuch eins superperfekt sein. Das funktioniert besonders gut bei digitalen Produkten, bei denen man mit einem Mausklick ohnehin alles updaten kann. Kleine Einschränkung: Wenn ich aus der Vergangenheit schon weiß, wie es besser ginge, wäre es schlicht dumm, das nicht beim ersten Versuch schon mit einfließen zu lassen.

Zwei Probleme gibt’s bei dieser Methode aber auch: Wer zu viel umwirft, verwirrt alle Menschen um einen herum, weil schon wieder alles anders ist. Den Fehler habe ich im Lab schon häufiger gemacht. Und: Wenn man ständig alles hinterfragt, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis, dass nichts von dem, was man probiert, zu 100% funktioniert hat.

Innovations-Anarchie, Lektion 3: Hör auf, in Fehlern zu denken.

“Gute Fehlerkultur” ist so ein Stichwort, bei dem immer alle nicken und das sehr richtig finden und niemand so wirklich erlebt hat, wie die sich denn anfühlt. Die klassische Unternehmenskultur listet Misserfolge. Nur damit dann niemand mehr drüber spricht. “Weißt du noch? Dieses eine Projekt damals? Das ist ja mal voll gegen die Wand gefahren.”

Ich kann kein einziges Media-Lab-Projekt nennen, das “voll gegen die Wand gefahren ist”. Das ist keine Hybris, sondern eine Einstellung. Selbstverständlich haben auch im Lab schon Dinge nicht funktioniert. Ein Hackathon, bei dem nur 3 Teilnehmer aufgetaucht sind, gehört definitiv dazu. Aber es war kein Misserfolg zu sehen, dass mein Team innerhalb von 30 Minuten ein komplett neues Programm aus dem Hut zaubern kann. (Was für Heros!) Und das war am Ende dann noch so erfolgreich, dass wir eine Conversion Rate von 33% zu einem unserer Folge-Programme hatten. Pretty good, huh?

Außerdem haben wir gelernt. Vielleicht keine Hackathons in der Adventszeit. Und vielleicht können Medienstudenten mit dem Wort “Hackathon” auch (immer) noch nicht so viel anfangen. Gut, dann halt das nächste Mal anders.

Wenn wir ständig alles optimieren (siehe Lektion 2), machen wir ohnehin nie zwei Mal das Gleiche. Die Kunst ist, die guten Dinge mitzunehmen und die anderen galant unter den Tisch fallen zu lassen. Jedes unserer Programme ist damit quasi ein Frankenstein aus Failed Projects. Oder eher: Ein Frankenstein aus Learnings.

Innovations-Anarchie, Lektion 4: Sammle Mit-Anarchisten.

Anarchie klingt, als würde man allein durch die Wand rennen können. Funfact: Nope. Geht nicht. Um Dinge besser zu machen, braucht es noch immer Menschen, die es einen besser machen lassen. Wenn überall Wände hochgezogen werden, hilft auch der stärkste Dickkopf nicht. Das ist leider noch immer Realität in vielen Medienhäusern, was die vielen, vielen Talente da draußen beweisen, die enttäuscht davon, dass es einfach nie Ressourcen und Erlaubnis für neue Projekte gibt, die journalistischen Tanker verlassen.

Wer Mit-Anarchisten sammelt, hat automatisch mehr Power. Für das Lab war unser Mit-Anarchist Siegfried Schneider, der Präsident der BLM, der selbst visionär in die Zukunft schaut und neue Ideen nicht ablehnt, sondern unterstützt. Dadurch konnten wir starten — und wachsen: Heute ist das Media Lab Bayern nicht mehr Teil der BLM, sondern eines von sieben Projekten der Tochterfirma Medien.Bayern GmbH, die Stefan Sutor und ich leiten.

Was ist besser als ein Mit-Anarchist? Ein ganzes Team davon! Das Media Lab gäbe es nicht ohne die mittlerweile 14 Menschen, die das Mindset des Innovations-Anarchisten teilen und jeden Tag alles dafür geben, jedem Talent, das durch die Tür kommt, die bestmöglichste Unterstützung zu geben.

Gehört eng zur Lektion 2, bezieht sich aber auf sich selbst. Wir alle haben mitunter das Gefühl, “wir kennen uns ja schon aus”. Funfact: We don’t. In jedem Feld gibt es Dinge, die wir noch lernen können und müssen.

Hilfreich dabei ist die Grundannahme, dass man alles lernen kann. Wichtig dann auch, dass man es tut. Das geht am besten, surprise, durch Zuhören. Wer mal darauf achtet, wie viele Fragen andere Menschen so stellen, merkt schnell: Keine bis ausgesprochen wenige. Dabei erfährt man so viel, wenn man zuhört! Neben von-Nutzern-lernen (immer die beste Idee) ist von-Experten-lernen gleich auf Rang zwei. Egal zu welchem Thema, ob das Lean Startup Canvas, Geschäftsmodelle erfinden oder Mitarbeiter führen — zu fast allem gibt es ein Buch, einen Podcast oder ein Youtube-Video.

Mit jedem Nutzer und jedem Experten, dem ich zuhöre, steigere ich meine Chancen, auf eine echte Innovation zu kommen. Probiert’s mal aus!

❤ Danke ❤

Nichts im Media Lab Bayern gäbe es ohne die Menschen, die uns die letzten fünf Jahre unterstützt haben. Deshalb möchte ich Danke sagen, und zwar in Order of Appearance, an:

- Stefan Sutor, meinem absoluten Lieblings-Ideen-Sparringspartner

- Siegfried Schneider, dem besten Chef-Visionär

- die großartigste Unterstützung, die man sich aus der Politik so wünschen kann mit dem Medienminister Dr. Florian Herrmann, seinen Vorgängern Georg Eisenreich und Ilse Aigner, sowie Michael Roppelt, Lorenz Schuster und Fiona Burkert. Es ist ein Fest, diese Projekte für und mit Ihnen umzusetzen!

- Pia Lexa, der innovations-enthusiastischsten Employee No #1, die man nur haben kann

- Miriam Schüssler, der unerschrockensten Managerin of Everything

- Franziska Tretter, der genauesten Admin ever

- Christian Simon, dem brillantesten Media-Innovation-Mind

- Isabella Ostermann, der cleversten Excel- und Team-Dompteurin

- Ronja Rathmann, der organisiertesten und Most Welcoming Person on earth

- Marlon Fricker, dem absolut schnellsten Marketeer, dem ich je begegnet bin

- Simone Friese, dem fantastischsten Marketing-Mastermind

- Svenja Weiß, der virtuosesten Projektjongleurin

- Tobias Arendt, dem besten Solver of Every Tech-Problem

- Eva Menzenbach, der hilfreichsten Office-Hustlerin there is

- Franzi Porst, der koordiniertesten Event-Managerin ever

- all unsere Werkstudenten und Praktikanten, ohne die rein gar nichts ginge und sowieso und ohnehin all unsere Partnern und Freunden und Unterstützern along the way — much, much love for you!

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