Start up Knowledge | 25.01.2022
Junge Wechseljahre - Der Businessfaktor Frau
Über die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Umso erstaunlicher ist es, dass ihre spezifischen Bedürfnisse bisher nicht gesehen oder kaum beachtet wurden. Seit einigen Jahren etabliert sich allerdings eine Femtech-Branche, häufig mit jungen Frauen als Gründerinnen.
Über die Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Umso erstaunlicher ist es, dass ihre spezifischen Bedürfnisse bisher nicht gesehen oder kaum beachtet wurden. Seit einigen Jahren etabliert sich allerdings eine Femtech-Branche, häufig mit jungen Frauen als Gründerinnen.
Wechseljahre als Fokusthema
Ein Femtech Unternehmen ist das Startup femfeel. Die beiden Gründerinnen Janna Kraft und Marie Reger haben sich auf das Thema Wechseljahre fokussiert. “Während der Wechseljahre unserer Mütter, haben wir gemerkt, wie wenig Angebote und Informationen es für diese Lebensphase aktuell gibt”, berichtet Janna. Vor zwei Jahren begannen die beiden Wirtschaftsingenieurinnen an ihrer Idee zu arbeiten. Eine Plattform, die informiert und auf jede Nutzerin individuell mit Hilfsangeboten eingeht. Denn jede Frau erlebt die Wechseljahre anders: “Es gibt über 30 verschiedene Beschwerden, die durch das Schwanken der Hormone ausgelöst werden, zum Beispiel Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen oder sogar depressive Verstimmungen. Etwa ⅓ bleibt von Beschwerden verschont, während ⅔ aller Frauen diese sehr deutlich spüren, erklärt Janna.
Apps ergänzen den Arztbesuch
Der Mangel an spezifischen Angeboten für Frauen ist für junge Unternehmen wie femfeel ein Business-Case. Erste Studien legen nah, dass durch Ernährung, Bewegung und emotionale Balance Beschwerden in den Wechseljahren abgemildert werden können. Ärzt:innen und medizinisches Personal wissen das auch. “Eine ganzheitliche Beratung finden Betroffene bei Ärtz:innen selten bis gar nicht. Denn das wäre zeitintensiv und unser Gesundheitssystem ist dafür nicht ausgelegt”, erklärt Marie. Und es geht noch weiter: “Frauen gehen mit ihren Beschwerden von Fachmediziner:innen zu Fachmediziner:innen. Herzrasen kann beispielsweise mit den Hormonen zusammenhängen. Die Frau wird dann kardiologisch betrachtet, zur Radiologie geschickt und so weiter - alle untersuchen in ihrer Disziplin und finden keine Ursache. Die Frauen sind dann zunehmend verunsichert. Ein integrativer Ansatz wäre sinnvoller”. Eine ganzheitliche Unterstützung während den Wechseljahren möchten die Macherinnen mit ihrer Web-App bieten. Nicht als Ersatz für den Besuch beim Gynäkologen bzw. der Gynäkologin, sondern als alltäglicher Begleiter, welcher Betroffene informiert und in den drei Bereichen Ernährung, Bewegung und emotionale Balance unterstützt.
Ein Siegel für die Ansprache der User:innen
Es gibt immer mehr Gesundheits-Apps und bereits die Bundesregierung nimmt “Apps auf Rezept” in den Fokus. Die Zulassungshürden für Medizinprodukte sind allerdings hoch und im stetigen Wandel, insbesondere bei digitalen Angeboten. Zuständig für die Zertifizierung ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Darüber hinaus gibt es aber auch weitere unabhängige Institutionen, die Gesundheits-Apps bewerten, zum Beispiel vergeben der TÜV oder Dia Digital eigene Siegel. Wichtig ist zu unterscheiden: Startups, die im Gesundheitsbereich digitale Services anbieten, sind nicht automatisch Medizinprodukte. So gibt es medizinische Apps, Lifestyle-Apps und serviceorientierte Apps. Nur medizinische Apps benötigen eine CE-Zertifizierung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte - und selbst das, sagt nicht aus, ob eine App wirklich den Effekt hat, den sich Anwender:innen wünschen.
Grundsätzlich sollten sich App-Anbieter:innen überlegen, ob sie ein Siegel einsetzen möchten oder nicht. Eine Auswertung der Medizinischen Hochschule Hannover aus dem Jahr 2018 ergab, dass nur wenige App-Anbieter:innen im App-Store mit Siegeln oder Zertifizierungen werben. Aus Marketingaspekten heraus macht ein Siegel aber durchaus Sinn. Zum Beispiel, um sich von der Konkurrenz abzuheben und potenzielle User:innen konkret anzusprechen, indem Sicherheit vermittelt wird.
Enttabuisierung und Communitybuilding
Frauenthemen in Kombination mit dem Schlagwort “Enttabuisierung” treffen den Nerv der Zeit. Werbespots, die Stereotype aufbrechen und Body Positivity in den Fokus stellen sind zwei Beispiele. Aber auch kleine Akzente werden gesetzt. So wurde in Werbespots für Damenhygieneprodukte bis vor kurzem immer mit blauer Flüssigkeit suggeriert, wie saugfähig diese seien. In neuen Werbespots ist die Flüssigkeit rot. Auch femfeel möchte zur Enttabuisierung beitragen: “Es fehlt an Wissen, fundierten Handlungsempfehlungen und Sichtbarkeit. Alleine schon offen über Beschwerden während den Wechseljahren reden zu können hilft vielen Frauen - und genau das kommt kaum vor. Viele der Beschwerden, seien es Hitzewallungen oder beispielsweise Inkontinenz, sind leider noch sehr schambehaftet”, sagt Janna. “Älterwerden ist nach wie vor negativ stigmatisiert”, ergänzt Marie. “In den asiatischen Ländern wird das Älterwerden als zweite Blütezeit angesehen. In Europa ist es eher mit abnehmender Leistungsfähigkeit und Gebrechlichkeit verknüpft. Dabei ist das absoluter Quatsch. Studien haben schon gezeigt, dass man in der zweiten Lebenshälfte zufriedener ist als in der ersten”.
Perspektivisch möchte femfeel mehr als eine Gesundheits-App sein. Der Austausch zwischen Frauen in der Menopause soll gefördert werden. Aktuell gibt es dazu eine Messenger-Gruppe und sie starten gerade die ersten Online-Events, bei denen Expert:innen eingeladen sind, gemeinsam Sport getrieben wird und einfach genetzwerkt werden kann.