Media Research & Development | 18.12.2019
Kollaborative Plattform für den Journalismus
Im Rahmen des Research and Development Fellowships erzählt Michael Seidel hier über seine ersten Erkenntnisse zum Thema Zukunftsjournalismus:
Vor gut zwei Jahren habe ich mich aktiv auf die Suche nach der Zukunft des Journalismus gemacht. Ideen gesammelt, Menschen befragt. Von vielen wollte ich wissen, was Journalismus eigentlich für sie sei und stieß dabei auf spannende Antworten. Eine davon war diese: "Im Prinzip ist es doch so: Wir bezahlen euch dafür, 8 Stunden zu einem Thema zu recherchieren und dann eure Ergebnisse zu präsentieren." Zugegeben, das ist eine sehr einfache Darstellung unserer Arbeit. Und viele müssen heute teils deutlich mehr leisten. Trotzdem entfaltet dieser Satz bis heute erhebliche Wirkung in mir: Was ist eigentlich der Anspruch an Informationen? Sollte der nicht viel höher sein? Können wir dem überhaupt gerecht werden? Muss da heute nicht mehr möglich sein?
Zuerst stellt sich jedoch die Frage, was der Kunde will. Will er schnell, sicher und zuverlässig informiert oder nur in seiner Sicht der Dinge bestätigt werden? Für Letzteres gibt es viele Theorien und Erkenntnisse. Ich halte diese Analyse jedoch für einen Trugschluss. Der Mensch ist stets auf der Suche nach Wahrheit oder dem, was ihr am nähesten kommt. Nur so kann er sich wirklich weiterentwickeln, sich anpassen. Wir sind aktuell bloß nicht imstande, die gigantische Informations- und Argumentationsflut in einem gerechten Maße zu verarbeiten und darzustellen. Wir sind alle überfordert damit. Und weil das so ist, greifen viele nach einfachen Antworten.
Die University of Oxford fand heraus, dass in Deutschland Fake News in sozialen Netzwerken kurz vor der Europawahl 6 mal so oft geteilt worden sind, wie professionelle Inhalte. Ob darunter Bots sind oder nicht - für einen Journalisten werden damit Horrorszenarien wahr. Doch was hat unsere Recherche dem groß entgegenzusetzen, wenn 37,4% der deutschen Journalisten auf Wikipedia recherchiert? Wenn unter den ersten 10 Internetseiten, die ein deutscher Journalist zur Recherche benutzt, keine einzige Primärquelle ist?* Selbst in Artikeln etablierter Qualitätsmedien reiht sich eine unbelegte Behauptung an die nächste. Das überzeugt alte und gerade junge, kritische Leser nicht mehr.
Es ist jedoch nicht zielführend, mit dem Finger auf den Stand journalistischer Arbeit zu zeigen, ohne auch die Gründe dafür zu benennen. Der Markt ist mehr als schwierig, die Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte verschwindend gering. Der deutsche Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren, 2018 ausgezeichnet mit dem Schader-Preis, sagt dazu:
„Meine Haltung ist, dass wir im Journalismus dem Problem eines Marktversagens sehr nahe sind. Der Markt würde ja bedeuten, dass es Refinanzierungsmöglichkeiten gibt für Journalistinnen und Journalisten. Die gibt es aber, wie wir sehen, kaum. Selbst die großen Verlage sagen, dass sie den Journalismus in der Form nicht weiter finanzieren können.“
Das Resultat sind wiederkehrende Kürzungen und Sparmaßnahmen in den Redaktionen und Medienhäusern, was heißt: Journalisten haben immer weniger Zeit, in der sie immer mehr Informationen zu Werken verarbeiten müssen. Das funktioniert nicht. Nicht für den Journalisten, nicht für die Gesellschaft.
Bei meiner Recherche bin ich immer wieder über die Begriffe Kooperation und Kollaboration im Journalismus gestoßen. Gibt Sinn, wir schreiben ja auch alle voneinander ab. Spaß beiseite. Es gibt bereits einige solcher Projekte wie RiffReporter, die sich mit verschiedenen Akteuren zusammenschließen, um besseren Journalismus anbieten zu können. Meiner Meinung nach gehen die bestehenden Angebote aber noch nicht weit genug, nutzen das heutige, technologische Potenzial nicht aus. Wir sollten Kollaboration größer denken, mehr Menschen und Akteure mit einbeziehen, offen und nachvollziehbar agieren. Hacker und Journalist Frank Rieger stellt ähnliche Forderungen auf der re:publica 2019. Harald Schumann fordert das auch, damit wir dem großen Ideal der vierten Gewalt näher kommen.
Doch Kollaboration und Kooperation betrifft hier nicht nur die menschliche Interaktion. Künstliche Intelligenz macht Quantensprünge nach vorn - und bietet ungeahnte Möglichkeiten für den Journalismus. Allein mit bestehenden Lösungen im Bereich Natural Language Processing ließen sich viele Prozesse optimieren.
Menschliche und technische Kollaboration birgt kombiniert enormes Potenzial, den Journalismus pluralistischer und effizienter zu machen. Dafür muss die Branche aber bereit sein, sich zu öffnen. Der Journalismus steht aktuell vor enormen Herausforderungen, die er nur bewältigen wird, wenn er sich wandelt, entwickelt und neu erfindet.
Das Media Lab Bayern fördert Gründungsideen im Bereich Medieninnovation. Seit Oktober nehme ich dort am Research & Development Fellowship teil und forsche an einem Konzept zur Kollaboration. Im nächsten Artikel lesen Sie von ersten Erkenntnissen und Erfahrungen.