Media Research & Development | 30.09.2024

Der KI-Durchbruch im Journalismus steht noch bevor

Für den KI Report haben wir Vanessa Wormer, Leiterin des SWR X Lab, um ihre Einschätzung zum Stand von KI im Journalismus gefragt.

Out Now: KI Report 2024

Künstliche Intelligenz ist nur eine Technologie – was wir mit KI machen bestimmt, welchen Einfluss sie auf die Medienwelt hat! Zwei Jahre nach dem Release von ChatGPT zeigen wir dir auf 25 Seiten 16 neue Cases, die genau das angehen.

Hier gibt es Tools, die schon heute funktionieren!

In meinen 20 Jahren in der Medienbranche habe ich noch keinen Hype erlebt, der auf Organisationsebene unmittelbar so große Auswirkungen hatte wie den um generative KI. Neue Rollen, Zuständigkeiten und Leitlinien entstanden quasi über Nacht.

Die Branche jedoch wurde durch die KI-Welle nicht kalt erwischt. Es hat sich ausgezahlt, dass in der Vergangenheit bereits Daten-Kompetenzen aufgebaut wurden, in vielen Medienhäusern gab es Expert:innen, die das Top-Management gut durch die Anfangszeit navigieren konnten.

Die Bedrohung, die keine ist

Ein Hype birgt schließlich auch Gefahren: überzogene Erwartungen, unklare rechtliche Rahmenbedingungen und eine Vernachlässigung echter Nutzerbedürfnisse. Dennoch war es richtig, dass Medienhäuser in KI investierten — trotz Ressourcenknappheit und des noch unklaren Nutzens. Denn anders als in vielen anderen Branchen, glaube ich, dass für den Journalismus die hohen Erwartungen an KI durchaus erfüllt werden können.

Warum? Weil die Kernaufgaben des Journalismus — komplexe Recherchen, Erstellung und Verbreitung von Informationen, Umgang mit natürlicher Sprache — den Fähigkeiten von generativen KI-Systemen ähneln. Das macht die Implementierung in unserer Branche besonders vielversprechend.

Gleichzeitig stellt uns generative KI vor besondere Herausforderungen: Synthetisch generierte Informationen bedrohen nicht nur unsere Geschäftsmodelle, sondern auch unsere Rolle in der Demokratie.

In diesem Spannungsfeld müssen wir jetzt den nächsten Schritt gehen. Der anfängliche Hype weicht einer Phase, in der konkrete Anwendungen entwickelt werden müssen. Wir müssen die Technologie nutzen, um besseren Journalismus zu machen und einen echten Unterschied im Leben unserer Nutzer:innen zu bewirken.

Alte Visionen, heute umsetzbar

Interessanterweise tauchen dabei Themen auf, die schon in den vergangenen zehn Jahren im Medienbereich unter dem Stichwort „Machine Learning“ virulent waren und das Tal der Ernüchterung möglicherweise bereits durchlaufen haben: Personalisierung und automatisierter Journalismus, Nutzerinteraktion via Chat- oder Sprachbot, Big-Data-Recherchen und -Analysen. Mit sprachlich eher unbeholfenen Facebook-Messenger-Bots experimentierten bereits viele Medienhäuser. Und die KI-gestützte Datenauswertung war zu Zeiten der Panama Papers noch mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Heute können diese Ansätze durch die neuen Möglichkeiten der generativen KI zu Tools und Produkten werden, deren Nutzung im Alltag Spaß macht und Mehrwert für die Anwender:innen stiftet.

Die Entwicklung solcher Produkte erfordert allerdings ein strukturiertes Vorgehen: Wir müssen nicht nur die Technologie durchdringen und den rechtlichen Rahmen abstecken, sondern auch echte Nutzerbedürfnisse verstehen, mutig innovative Lösungen entwickeln und so den Produkt-Markt-Fit herstellen.

Bewährte Innovationsmethoden können uns dabei helfen. Viele Medienhäuser können glücklicherweise auch hier auf etablierte Strukturen und Prozesse der Innovationsarbeit zurückgreifen. Zudem steht ihnen ein vielfältiges Ökosystem wie das des Media Lab Bayern im Innovations- und Startup-Bereich zur Verfügung.

Was zu tun ist

Konkret sollten wir uns also fragen: Wie können wir generative KI nutzen, um ...

… journalistische Recherchen zu vertiefen, indem wir Sprachmodelle und Wissensdatenbanken vernetzen?

… Chat- und Sprachbot-unterstützt die Nutzung unserer Inhalte zu gewährleisten?

… komplexe Themen durch interaktive, KI-gestützte Erklärformate zugänglicher zu machen?

… personalisierte Angebote zu erstellen, die trotzdem Vielfalt und Meinungspluralität abbilden?

… Fakten in Echtzeit zu erkennen, um Fake News zu entlarven?

Zugleich müssen wir uns auf redaktioneller Ebene damit auseinandersetzen, wie uns eine tiefgehende, kritische und beharrliche Berichterstattung über die Auswirkungen von KI auf unsere Gesellschaft gelingt. Auch das erfordert neue Kompetenzen, die wir in vielen Redaktionen noch auf- und ausbauen müssen.

Die Technologie selbst ist nicht das Produkt. Sie ist ein Werkzeug, um unsere journalistischen Ziele besser zu erreichen: mehr Relevanz, Glaubwürdigkeit und Wirkung für unsere Nutzer:innen.

Wenn wir den Blick von der Technologie weg und hin zu den tatsächlichen Bedürfnissen unseres Publikums (und: der Anwender:innen in den Redaktionen) richten, eröffnen sich neue Perspektiven. Die Phase des Hypes ist vorbei. Nun beginnt die eigentliche Arbeit.

Ein Artikel von

Vanessa Wormer

Vanessa Wormer leitet das Innovationslabor des Südwestrundfunks, das SWR X Lab. Ihr Team entwickelt gemeinsam mit den Redaktionen in der ARD neue digitale Produkte wie das Chatbot-basierte „Tatort Game“ oder das Debattenformat „Mixtalk“ auf Twitch.
Zu Zeiten, als man statt von KI noch von „Machine Learning“ sprach, war sie bei der Süddeutschen Zeitung für investigative Datenprojekte zuständig, darunter die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Recherchen zu den „Panama Papers“.

Newsletter

Alles, was ihr zu Startups und Medieninnovation wissen müsst, gibts regelmäßig in unserem Newsletter!

Abonnieren