Media Research & Development | 31.08.2022
Medientrends: Der Switch zu Twitch
Die Welt wandelt sich und der Medienkonsum mit ihr. Haptische Informationsquellen sind nicht mehr gefragt. Junge Zuschauer:innen verlangen nach kurzweiligen, interaktiven Formaten. Live-Streaming-Kanäle wie Twitch gelten dabei als ein beliebtes Sprachrohr. Content Creators und Medienhäuser folgen diesem Ruf und verlagern ihre Arbeit nach und nach auf die einschlägigen Channels. Dadurch kann eine neue Zuschauerschaft generiert und ein Need in der Branche gestillt werden.
Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie Inhalte in der Medienwelt produziert, konsumiert und verbreitet werden. Daher ist es wichtig, am Ball zu bleiben und Formate, die gerade in der jungen Generation großen Anklang finden, in den Medienalltag mit einzubinden. Das als Gaming Plattform bekannte Format Twitch ist der neue Stern am Technologiehimmel. Auch Medienhäuser öffnen sich dieser Möglichkeit.
Die Zukunft des Journalismus
Im September 2021 erkannte der öffentlich-rechtliche Rundfunk BR das Potenzial, das in modernen Medientechnologien schlummert und startete mit BR Next ein Pilotprojekt auf der Live Streaming-Plattform Twitch. Damit war der Sender verhältnismäßig spät dran, denn schon seit einiger Zeit tummeln sich auch große Journalismus-Outlets auf dem Live-Streaming-Marktführer. Die Washington Post entwickelte bereits 2018 ein Portal für Politikformate auf Twitch. Einige Medienhäuser zieren sich dennoch, sich auf Twitch einzulassen, da sie die Plattform mit reinem Gaming verbinden. Dabei ist der Trend ein anderer.
Zwar liegt der Hauptfokus noch auf Gaming, aber zahlreiche Streamer:innen nutzen Twitch bereits als Informations- oder Nachrichtenportal, fernab vom Zocken. Die erfolgreichsten Betreiber:innen von Channels sind in der Tat die, deren Persönlichkeit die Zuschauerschaft anzieht. So können Content Creators oder Medienhäuser außerhalb der Gaming-Branche ihre Inhalte an Interessierte vermitteln, interaktiv mit ihnen agieren und dabei gut Geld verdienen.
Pain & Gain
Mit rund 70 % ist Twitch der unbestrittene und bekannteste Marktführer der Live-Streaming-Branche. Somit lassen sich Inhalte sehr lukrativ und prominent auf dem Portal monetarisieren. Während eine hohe Klickbereitschaft bei laufenden Streams den Cent rollen lässt, werden vergangene Streams bislang vernachlässigt. Dabei kann man auch aus altem Material viel Nutzen ziehen. Zwar gibt es Dienstleistungen, die es den Streamer:innen ermöglichen, einen alten Stream zu editieren und gekürzt zur Verfügung zu stellen. Es kostet jedoch viel Mühe und Zeit, die Fülle an Materialien auf Highlights zu beschränken, denn gerade Gaming Live-Streams können bis zu 10 Stunden dauern.
Dabei ist es für Content Creators und Medienschaffende sehr wichtig, eine knappe Zusammenfassung der vergangenen Streams crossmedial auf anderen Social Kanälen wie Tiktok, Instagram oder YouTube Shorts zu bewerben. Doch ein zehnstündiger Stream findet bei den notwendigen Social Channels kein Zuhause. TikTok setzt sein Limit bei 10 Minuten an, Instagram sogar bei 60 Sekunden. So werden zum einen die vorgegebenen Clip-Längen weit überschritten. Zum anderen konsumieren Nutzer:innen gerade deswegen die sozialen Netzwerke, da sie kurz und knapp informiert werden möchten.
In der Kürze liegt die Würze
Diese Marktlücke haben auch Moritz Steinbach und Matthias Gabriel vom Startup Audivio erkannt und eine Lösung gefunden, diesen Gap zu schließen. Mit Audivio haben sie ein Tool entwickelt, das mittels Datenanalyse die Live-Streaming-Highlights filtert. Somit wird ein 10-Stunden-Stream auf wenige Sekunden reduziert und zeigt die Highlights der Streamer:innen oder der Zuschauerreaktionen im Chat. “Wir sind beide Twitch-User und haben aus Interesse ein wenig Recherche betrieben. Gerade der Social-News-Aggregator Reddit verfügt über eine große Community von Twitch-Streamer:innen, die ihre Erfahrungsberichte schildern. Und da haben wir entdeckt, dass der Wunsch nach komprimierten Highlight-Clips groß ist, diesem Wunsch bisher aber noch nicht entsprochen wurde.”, erläutert Moritz Steinbach. “Es ist vergleichbar mit dem Prinzip der Sportschau. Die Sendung schaue ich, weil ich nicht das komplette Fußballspiel sehen möchte, sondern gezielt die Zusammenfassung der Tore oder Fouls."
Audivio konzentriert sich hierbei auf zwei Use Cases. Der erste Use Case beläuft sich auf einen Algorithmus, der die Zuschauerreaktionen auswertet und die Chatdaten analysiert. So kann das Tool auslesen, an welcher Stelle es besonders viele Reaktionen gab und markiert diesen Moment als Highlight. Streamer:innen können auf diese Weise entlastet werden. Die Analyse des stundenlangen Materials dauert nur einen Klick. Drei oder vier beeindruckende Passagen werden automatisch herausgefiltert und das Kurzvideo kann so auf Plattformen wie TikTok, Instagram oder YouTube Shorts geteilt und cross-promoted werden.
Der Markt der Vermarktung
Doch die Datenanalyse hilft auch bei der Produktvermarktung. Viele Marken erreichen die vornehmlich junge Zielgruppe nur noch bedingt. Diese findet man zwar gut auf Twitch, allerdings kann nicht jedes Produkt pauschal in einem beliebigen Channel beworben werden. Twitch selbst lebt keinen universellen Stil vor, sondern schafft den Communities einen Raum, sich selbst zu gestalten. Ein Produkt muss daher mit der Kultur eines Channels und seiner Streamer:innen harmonisieren. Nur so wird die gewünschte Kundschaft erreicht. Eine genaue Analyse der Daten von Audience und Streamer:innen fördert diesen Findungsprozess.
Der zweite Use Case von audivio hat dafür ebenfalls eine Lösung parat. “Sponsorship ist im Streaming Bereich etwas knifflig, da viele nicht wissen, wofür die Streamer:innen stehen. Wenn man ein Produkt bei beliebten und reichweitenstarken Kanälen platzieren möchte, hilft es, die Zuschauerschaft zu kennen. Durch unsere Analyse können wir eine detaillierte Aussage über die Abonnent:innen und deren Interessen machen. So ist die profitable und sinnvolle Vermarktung eines Produktes garantiert.”, schlussfolgert Moritz Steinbach.
Und die Moral von der Geschicht'
Twitch steht für eine interaktive Kommunikation mit der maßgeblich jungen Community und schafft daher besseren Zugang zur Generation Z. Durch die plattformübergreifende Streuung der Inhalte wiederum können Creators und Medienschaffende nicht nur ihren Content pushen, sondern größeren Buzz generieren. Hilfreich ist dabei aber auch die Aufarbeitung der vergangenen Streams als kurze Highlight Clips, um den Inhalt weitreichend zu verbreiten. So werden Nutzer:innen, die sich (noch) nicht auf Twitch aufhalten, angesprochen. Die Visibility für ein Medienhaus ist auf diese Weise sichergestellt.