Best Cases | 09.11.2021
Nahbar, authentisch und nachhaltig. So entwickelt sich die Medienbranche
In der Medienbranche bewegt sich einiges. Wohin entwickeln sich große Medienunternehmen, welche Erkenntnisse haben Medienmacher:innen aus der Pandemie gezogen und was muss ein erfolgreiches Medienunternehmen können? Auf alle drei Fragen haben wir Antworten gefunden. Das Media Lab Bayern zählt genauso wie die Medientage München zur Medien.Bayern GmbH. Deshalb haben wir bei den Kolleg:innen während dem Medienevent in München die Ohren gespitzt. Hier sind unsere Take-aways von den Medientagen München.
Authentisch statt perfekt
Die disruptive Veränderung im Medienmarkt fordert ein Umdenken. Dr. Gunnar Wiedenfels, CFO von Discovery sagte beispielsweise auf den Medientagen, dass das Medienunternehmen bereits vor der Pandemie intern und extern in digitale Plattformen investierte. Während der Pandemie konnten so alle Mitarbeitende aus dem Homeoffice arbeiten. Auch das offene Mindset für wirkliche Authentizität bei den Medien habe die Discovery-Gruppe vorangebracht. Echt soll es sein: So ließ sich beispielsweise eine TV-Köchin von ihrer Tochter zu Hause beim Kochen filmen. Filmprofis denken dabei sicherlich gleich an wacklige Bilder oder ungünstige Filmausschnitte. Aber weit gefehlt: Die Filmsituation aus der eigenen Küche kam bei den Zuschauer:innen gut an.
Ein weiterer Punkt, den die TV-Sender der Zukunft laut Wiedenfels lernen müssten, sei, sich strategisch gut aufzustellen. Das heißt zum einen, sich sinnvolle Partnerschaften zu suchen und zum anderen, wenig Abhängigkeiten im eigenen Content zu schaffen. Solche Content-Abhängigkeiten werden bei Discovery beispielsweise reduziert, indem das Lizenzgeschäft eher vermieden wird, stattdessen setzt man auf die Produktion eigener Inhalte. Die große Fusion mit Warner erweiterte das Portfolio. Während Discovery auf nicht-fiktionale Inhalte setzt, ergänzt Warner mit einem fiktionalen Angebot.
Bedürfnisse von Nutzer:innen sind wichtiger als Trends
Unternehmen möchten bei Innovationen ins Machen kommen. Die Innovationsstudie von XPLR: Media wertete dazu eine qualitative und quantitative Befragung von Medienunternehmen in Bayern aus. Die Medienbranche bemerkt, dass das Verhalten der Nutzer:innen sich verändert hat und sich auch weiter verändern wird. Handlungsbedarf ist also gefordert. Doch wie stellt sich ein modernes Medienhaus auf? “Es hilft nicht, einem Trend nach dem anderen nachzujagen”, sagt Kerstin Deixler. Die PR-Expertin stellte die Studie auf den Medientagen 2021 in München vor: “Es müssen Trends und Innovationen sein, die User:innen auch wirklich möchten. Deshalb ist die Frage nach den Bedürfnissen der Nutzer:innen immer die Erste, die sich Medienunternehmen stellen müssen”. Daniel Fiene, bekannt durch den Podacast “Was mit Medien”, bestätigt das. Der Audio-Podcast hat sich den letzten Monaten zu einem Startup mit diversen Angeboten erweitert. “Wir haben uns intensiv mit unseren Ziel- und Nutzergruppen beschäftigt und daraus unser Angebot entwickelt”.
Die Bedürfnisse von User:innen haben sich gerade während der Pandemie nochmals stark gewandelt. Das betrifft alle Formen des Medienkonsums. Auch die Nutzung von Streaming-Angeboten und Mediatheken ist extrem gestiegen und es ist davon auszugehen, dass das auch so bleibt. Das wäre ein Ansatzpunkt für Broadcaster, um passive Sehgewohnheiten mit weiterführenden Angeboten zu verknüpfen. Für Zuschauer:innen wäre es durchaus attraktiv über einen Second Screen Produkte direkt einkaufen zu können, die auf dem First Screen, dem TV-Gerät, vorkommen. So könnten bei der Sendung “Shopping Queen” zum Beispiel gleich die Kleidungsstücke angeboten werden, sagte Ines Imdahl, Geschäftsführerin von rheingold salon in einem Panel auf den Medientagen. Auch die getrennte Aufstellung einer Mediathek und eines Streaming-Angebots scheint überholt. “Für User.innen ist es nicht logisch, dass zwischen Archiv und zusätzlicher Content-Plattform unterschieden wird”, stellte Imdahl fest. Würden Fernsehsender die Mediathek und ihre Streaming-Plattformen zusammenlegen, könnte ein ganz neuer Zugang zu User:innen geschaffen werden. Denn gerade beim Streaming haben es TV-Sender schwer, ihre Bezahlplattform an den User bzw. die Userin zu bringen. Viele haben bereits ein Abonnement bei Platzhirschen wie Netflix, Amazon Prime oder Disney Plus. Über den kostenlosen Zugang zu Mediathek könnte die Barriere für die eigenen (paid) Streaming-Angebote abgebaut werden. Die Voraussetzung ist, dass beides auf derselben Plattform zu finden ist.
Synthetische Stimmen finden ihren Weg in den Audiomarkt
Bei der BBC wird bereits seit Jahren mit synthetischen Stimmen und Moderator:innen gearbeitet. In Deutschland ist es der WDR, der synthtic voices testet. Dazu hat man sich die Stimme der bekannten WDR 2-Moderatorin Steffi Neu geliehen. Nun werden mit ihrer Stimme der Verkehrsfunk oder auch Sportnachrichten per Algorithmus erstellt. Das klingt dann so:
Noch steht die Entwicklung am Anfang und es wird an der Aussprache und der Perfektionierung gearbeitet. Doch beim WDR ist man zuversichtlich, dass synthetische Stimmen ihren Platz finden werden. Was dabei genauso wichtig ist, sind ethische Standards. Daher geht die Entwicklung der synthetischen Beiträge Hand in Hand mit der Entwicklung von ethischen Leitlinien. Synthetische Stimmen werden allerdings nicht die sinkende Nutzung des Radios aufhalten.
Radio als Projektionsfläche für Stimmungen
Valerie Weber, Hörfunkdirektorin des Westdeutschen Rundfunks, teilte auf den Medientagen München 2021 einige Gedanken dazu, wie Radio den Innovationssprung schaffen könnte. Ein Treiber der Gesellschaft sind Sinnfragen. Ein Ansatz könnten deshalb sinnhafte Angebote und Positionierungen zu aktuellen Tagesthemen sein. Das kann auf einzelne Sender oder auf eine ganze Unternehmensmarke angewendet werden. Valerie Weber glaubt nicht, dass die Zukunft des Radios alleinig in der Nachrichtenredaktion liegt. “Lineare Rundfunkmedien eignen sich, um die Heimat und Sehnsucht der Menschen abzubilden”, sagte sie. Ein Vorteil von Radio ist es, mit Tönen und Bildern Stimmungen zu vermitteln. Ein anschauliches Beispiel ist die Musikplanung mit Playlisten. Statt nach Musikstilen zu steuern, sollte vielleicht eher nach Stimmungen geclustert werden.
Wer Radio neu denkt, muss einfach alles hinterfragen und gegebenenfalls neu aufstellen. Es braucht neue Wege der Distribution. Eine vertikale Planung reicht nicht mehr aus. Es muss alles modularer werden. Und auch die Produktionsästhetik muss sich an der mobilen Nutzung orientieren. Der Sound klingt auf einem Kopfhörer anders als aus dem Küchenradio.
Nachhaltigkeit bei den Produktionen
Nachhaltigkeit ist ein weiteres großes Thema und wird zukünftig an Relevanz gewinnen. Publisher sind sich dessen bewusst und versuchen nach und nach ihre Produktionen nachhaltig aufzustellen. Inzwischen nehmen Filmproduktionen sogenannte Green Consultans in Anspruch. Diese prüfen bei der Produktion beispielsweise, wie CO₂ eingespart werden kann. Bei Tatort-Produktionen konnte der CO₂-Verbrauch, laut dem Spezialist für nachhaltige Film und TV Produktion Philip Gassmann, um etwa 30-50% gesenkt werden. Ein Nebeneffekt: Manchmal führt die CO₂-Ersparnis auch zu neuen künstlerischen Möglichkeiten. Doch auf was kommt es bei nachhaltigen Produktionen an? Fünf Aspekte helfen bei der Orientierung.
- Am Anfang sollte immer ein Status Quo erstellt werden. Nur so kann gemessen werden, wieviel CO₂ wo eingespart wird.
- Außerdem muss man sich bewusst darüber sein, dass ein Daily-Format etwas anderes ist als ein Primetime-Format. Je nach Format gibt es andere Angriffspunkte, um nachhaltiger zu werden. Das kann beispielsweise bei der Schminke, dem Catering oder der Stromversorgung sein.
- Je nachdem wo man einsparen möchte, sollten Ansprechpartner:innen klar sein und früh ins Boot geholt werden. Zum Beispiel die Reinigungsfirma, die umweltfreundliches Toilettenpapier bereitstellen soll oder das Catering, das auf Plastik verzichten soll.
- Wer nachhaltig produzieren möchte, braucht Geduld. Mit jeder Produktion wird es nachhaltiger werden. Wer von heute auf morgen etwas umstellen möchte, wird scheitern. Eine nachhaltige TV-Produktion bedeutet nicht, dass alles verboten wird, sondern dass Prozesse und Handhabungen verändert werden. Das braucht Zeit.
- Ganz wichtig ist eine Green Culture am Set. Das bedeutet, das Team muss auf Nachhaltigkeit Lust haben und eine Awareness für dieses Thema haben.
Inzwischen gibt es sogar ein Label für nachhaltige Filmproduktion. Auf freiwilliger Basis haben sich einige Filmschaffende verpflichtet ab 1. Januar 2022 nachhaltiger zu agieren, das Ganze wird dann mit dem Label Green Motion ausgezeichnet. Neben der CO₂ Bilanzierung und dem Green Consultant zählen beispielsweise die Nutzung von Ökostrom oder die Vermeidung von Flugreisen zu den Mindeststandards.
Die Branche steht noch am Anfang
Diese Entwicklungen in den verschiedenen Medien zeigen sehr deutlich, dass sich die Branche verändern wird. Verschiedenen Medienplayer beginnen an verschiedenen Ausgangspunkten. Langfristig liegt der Fokus nicht nur auf einem Aspekt. Wirklich erfolgreich wird der, der Bedürfnisse der User:innen in seine Inhalte aufnimmt und dabei auch Rahmenbedingungen wie Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Positionierung mitdenkt.