Abschlussarbeiten im Media Lab | 30.03.2022

Politfluencing: Wie sich Aktivismus durch Instagram verändert

Erklärkacheln auf Instagram teilen als politischer Akt? Polit-Aktivismus ist auf der Foto-Lifestyle-Plattform Instagram angelangt und erfährt dort viele Veränderungen.

Seit Sommer 2021 habe ich mich voll und ganz in meiner Masterarbeit vergraben. Das Thema: Politischer Aktivismus auf Instagram, beziehungsweise “Politfluencing”. Schließlich politisieren sich mittlerweile auf der Plattform, auf der ursprünglich nur unpolitischer Lifestyle-Content zirkulierte, unglaublich viele Menschen. (Meinen ersten Blogbeitrag dazu, findest du hier!)

Das Schreiben über Instagram-Aktivismus war eine Herausforderung, denn auf einer Plattform wie Instagram passiert ständig etwas Neues, das berücksichtigt werden muss. Auch jetzt, wo die Arbeit abgeschlossen ist, gäbe es mit der Allgegenwärtigkeit des Ukraine-Krieges auf unseren Smartphones und Präsident Selenskyjs Präsenz in den sozialen Netzwerken viel zu analysieren.

Protest im Netz war schon immer performativ

Doch zunächst zu den Grundlagen: Protest und Aktivismus gab es vor Instagram natürlich auch schon auf anderen Plattformen wie Twitter und Facebook – Stichworte sind „Hashtag-Aktivismus“ oder „Twitter-Revolutionen“ in Moldawien, Iran, Tunesien, Ägypten und der Ukraine. Ein erster Vorläufer für den Aktivismus auf Social Media war möglicherweise „Kony 2012“, die Kampagne eines US-amerikanischen Regisseurs gegen einen ugandischen Warlord. Mit einem dreißigminütigen, sehr persönlichen Video wurde zur „Cover the night“-Aktion aufgerufen, für die man sich eine Box mit Stickern bestellen konnte, um damit sein Viertel auf die Kriegsverbrechen aufmerksam zu machen.

Was am heutigen Aktivismus an „Kony 2012“ erinnert, ist der performative Charakter des Protestes: Noch wichtiger als das Stickerkleben war das Gefühl dabei zu sein und dazu zu gehören. Auch auf Instagram geht es heute darum, den eigenen Follower:innen zu zeigen: Ich stehe auf der richtigen Seite, bin eine:r von den Guten. Nun stellt es noch keinen ernsthaften Protest dar, einen kritischen Beitrag mit zwei Mal Fingertippen in der Story zu teilen. Doch was dabei oft vergessen wird: Die Masse macht es. Wenn wirklich viele Menschen dieselben Beiträge teilen, kommt man zumindest nicht umhin, sich mit dessen Inhalt zu beschäftigen.

Das Private wird (wieder) politisch

Das Video aus der „Kony2012“-Kampagne funktionierte über eine ganz persönlich Ebene: Der Regisseur berichtete von seinen eigenen Erlebnissen in Uganda und adressierte das Publikum direkt, um zum Mitmachen aufzurufen. Auch wenn die Inhalte auf Instagram deutlich kürzer als dreißig Minuten sind, funktioniert der Protest ebenso auf einer sehr persönlichen Ebene.

Die politischen Themen, um die es auf Instagram geht, appellieren oft an das politische Verantwortungsbewusstsein des:der Einzelnen im Privaten: Inhalte zu Anti-Rassismus, Nachhaltigkeit oder Feminismus enthalten konkrete Handlungsanregungen, mit denen das Individuum dazu beitragen soll, die Welt besser zu machen. Der Claim „Das Private ist politisch“ stammt ursprünglich aus der zweiten Welle des Feminismus ab den 60er-Jahren. Damals ging es darum, auch in privaten Verhältnissen wie Partnerschaften politische Machtungleichheiten sichtbar zu machen. Der Instagram-Aktivismus greift diese Idee auf, begrenzt sich jedoch nicht auf Partnerschaften, sondern umfasst alle Bereiche des Lebens. Das Smartphone als allgegenwärtiger Begleiter kann so auch Diskriminierung am Arbeitsplatz, in Familienstrukturen oder der Schule sichtbar machen.

Das Instagram-Ich ist privat und öffentlich zugleich

Die Mittel, mit denen Aktivismus auf Instagram funktioniert, sind ästhetisch komplexer als auf anderen Plattformen, immerhin ist Instagram ursprünglich eine reine Fotoplattform gewesen. Typisch sind sogenannte „Erklärkacheln“, also mit Typographie versehene Bildstrecken, mit denen Themen politischer Bildung in einfacher Sprache aufgearbeitet werden. Genauso werden Selfies, Memes und bisweilen sogar Tanzvideos für die Verbreitung politischer Inhalte genutzt. Die eigentliche Komplexität beginnt mit den Inszenierungsstrategien der jeweiligen aktivistischen Akteur:innen: Die Instagram-Profile repräsentieren nicht die wahre Wirklichkeit der Person dahinter, gleichzeitig sind besonders authentische Profile sehr erfolgreich. Das Instagram-Ich wird in der Wissenschaft als public private self bezeichnet, also “öffentliches privates Ich".

Der psychologische Ansatz bei Instagram ist, dass Nutzer:innen zu anderen Nutzer:innen Beziehungen aufbauen, selbst wenn sich diese physisch noch nie begegnet sind. Das nennt sich parasoziale Beziehung und funktioniert ähnlich wie Beziehungen zu Charakteren in Filmen oder Serien. Bereits vor dem Internet bauten Fans parasoziale Beziehungen zu Stars auf. Und diese Beziehungen sind auch politisch: Celebrities übernehmen gewissermaßen die Funktion einer Projektionsfläche für die Wünsche und Bedürfnisse einer Bevölkerung. Und diese ist natürlich auch politisch. Ein Beispiel: Die Zuschauer:innen der US-amerikanischen Basketball-Profiliga NBA sind zu großen Teilen schwarz. Die Spieler wurden während der #BlackLivesMatter-Proteste 2020 also zu einer Art Projektionsfläche der sich mobilisierenden schwarzen Community.

Eine neue öffentliche Ordnung

Auf Instagram kann potenziell jede:r zur Celebrity werden: Influencer:innen arbeiten daran, berühmt zu werden, um Produkte bewerben zu können. Sobald sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, ist egal, was ihre Kernkompetenz ist, denn dann sind sie bereits berühmt. Und so wie sich die ursprünglich ausschließlich kommerziell wirkenden Influencer:innen zu politisch aktiven Figuren entwickelt haben („Sinnfluencer:innen“), eignen sich auch politische Aktivist:innen die medialen Formate und visuellen Strategien der Influencer:innen an (zu Beginn meist mit einer gewissen Ironie, die sich dann aber verläuft), um politische Arbeit zu betreiben.

Instagram ist ein Motor dafür, dass traditionelle Grenzen zwischen öffentlichen Berufen und Handlungsfeldern verschwimmen. So passiert es auch mit den vier Leistungssystemen der Öffentlichkeit - Journalismus, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und Unterhaltung. Auf Instagram lassen sie sich nicht mehr deutlich voneinander trennen. Dort lauert aber auch eine große Gefahr: Politik vermischt sich auf Instagram mit Entertainment, wird konsumiert wie die Selfies eines Liebslingsinfluencers. Das muss zwar nicht zwangsläufig ein Problem sein, kann aber zum Hindernis für Themen werden, die moralisch nicht so aufregend sind wie andere und damit in der Masse untergehen.

Leonard hat nun das Förderprogramm für Abschlussarbeiten durchlaufen. Mehr zum Programm gibt es hier! Er hat außerdem für seine Arbeit ein Video konzipiert und umgesetzt, das den politischen Aktivismus in einem Desktopessay-Format erklärt. Schaut euch das unbedingt an!

Ein Artikel von

Leonard Schulz

Leonard Schulz ist Master-Student an der Berliner Universität der Künste im Studiengang Gesellschafts- & Wirtschaftskommunikation. Während seines BA Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin hat er ein Auslandssemester in Istanbul gemacht, dort ein Filmfestival mitkuratiert, ein Praktikum bei Cem Özdemir von den Grünen gemacht und an dem Kino-Film Futur Drei mitgearbeitet. Neben dem Studium schreibt er frei für die Taz, die Tageszeitung.

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