02.06.2020
Smarte Anwendungen für den Wissenschafts- journalismus
Im Rahmen des Rocking Science Journalism Fellowships forscht seit Mai des Jahres unsere Fellow Alexandra von Knobloch zum Thema Nutzung von IoT und Smart-Home-Anwendungen für den Wissenschaftsjournalismus. Hier erzählt sie, womit sie sich 2 Monate lang beschäftigt.
Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich im Wissenschafts- und Medizinjournalismus für Publikumsmedien, viele Jahre davon in Chefredaktionen Print- und Online. Als Biologin sind Naturwissenschaften mein Ding und als Journalistin darf ich mich durchgängig damit beschäftigen. Irgendwann waren die Chancen, aber auch die Hemmschwellen, bei der Digitalisierung der Medienbranche mein 24/7-Kernthema und ich wurde Design-Thinking-Coach und Innovationsmanagerin für Medien und die Gesundheitsbranche. Die Vermittlung von Wissen und Wissenschaft ist derzeit in der Diskussion wie selten zuvor – und per se prädestiniert für Pionierarbeit und innovative Formate.
Maker sind in ihrem Entdeckerdrang der Mehrheit immer einen Schritt voraus: Sie erfassen das Mikroklima um ihr Haus mit einer selbstgebauten Wetterstation: Bodenfeuchtigkeit, Temperatur, Niederschläge und, und, und. Sie bauen sich Gießautomaten, damit es in ihrem Gemüsegarten wächst und gedeiht, auch wenn sie nicht zu Hause sind. Sie regulieren die Zimmertemperatur von unterwegs, und basteln sich noch ein paar Features zum Sensor dazu. Smart Home und IoT ermöglichen heute schon den Austausch zahlreicher Messdaten. Lassen sich aus dem Verhalten der Maker neue Formate für den Wissenschaftsjournalismus ableiten? Sind zum Beispiel auch Menschen außerhalb der Maker-Szene bereit, eigene Messdaten zu erheben und in ihre Bewertung von wissenschaftlichen Themen, wie den Klimawandel, einzubeziehen? Noch ist die automatisierte Vernetzung von technischen Geräten nicht in jedem Haushalt angekommen. Die Technologie erschient vielen Leuten anspruchsvoll und – vielleicht – ein bisschen unheimlich. Trotzdem könnte es womöglich recht einfache Ansätze geben, um Menschen beispielsweise zu verdeutlichen, was ein ökologischer Fußabdruck ist und wie er sich auswirkt: Wissenschaftsjournalismus mit Aha-Effekt und Spaßfaktor.
... besteht meines Erachtens darin, potenziellen Usern ohne erhobenen Zeigefinger zu begegnen. Bei meinen bisherigen Recherchen habe ich keinen einzigen Menschen getroffen, der das Thema Klimawandel oder auch Umweltschutz im Allgemeinen als unwichtig erachtet. Aber fast jeder hat auch ein latent schlechtes Gewissen und/oder fühlt sich überfordert, mit der Verantwortung, die vermeintlich auf ihm lastet. Es ist den User*innen daher nicht immer angenehm, sich mit diesem wissenschaftlichen Thema näher zu beschäftigen, das sie eigentlich interessiert.
Der WDR hatte in den vergangenen beiden Jahren jeweils ein Leuchtturm-Projekt zu diesem Thema: Die Superkühe und bienenlive. Jeweils viel Ruhm und Ehre, aber auch viel Aufwand, zeitliche Begrenzung – und die User*innen bleiben stark in der Konsumentenrolle. Dieses Projekt lotet aus, wie weit Menschen, die sich fürs Klima und die Umwelt interessieren, selbst mit einfachen technischen Anwendungen aktiv einbezogen werden können, so dass sie mit einer positiven Grundhaltung an das
Thema herangehen.
Seit gut zwei Wochen habe ich im Media Lab Bayern die Möglichkeit, im Dialog mit anderen Medienschaffenden und Unternehmern, innovative Produktideen zu entwickeln und testen. Im Rocking Science Journalism Fellowship sind uns dabei Coaches und Experten zur Seite gestellt, die sehr viel Erfahrung in dem doch sehr speziellen Bereich des Wissenschaftsjournalismus mitbringen und die besonderen Herausforderungen dieser Branche verstehen. Das ermöglicht einen kreativen Austausch auf den Punkt. Das Vorgehen, orientiert am Lean-Startup-Prozess, bringt einen schnell und konzentriert voran. Hypothese, testen, über die Ergebnisse hirnen, mit anderen reflektieren, neue Idee: Weiter geht es. Obwohl konkrete Geschäftsmodelle noch kein Ziel dieses Fellowships sind, verketten sich erste lose Stränge schon zu einer Schnur, an der entlang es sich sehr gut planen lässt. Das Umfeld im Media Lab Bayern erweist sich als sehr offen und hilfsbereit und fördert Kontakte, die einen weiterbringen.
Schon nach der ersten Woche hatte meine Grundidee zwei Iterationen hinter sich. Meine Grundannahme war, dass Menschen, die sich für Wissenschaftsjournalismus interessieren, es zu schätzen wissen, wenn sie am Ende des Tages eine kleine Übersicht über gewisse Aspekte ihrer täglichen Ökobilanz erhalten. Etwa: Wie viel Plastikmüll habe ich erzeugt? Oder: Wie viel Kohlendioxid haben meine Autofahrten in die Luft gepustet? Werte also, die man mit geringem Aufwand selbst messen oder leicht ausrechnen lassen kann. Zur Prüfung dieser Hypothese habe ich Interviews geführt, sowohl mit Makern als auch mit Menschen, die weniger technikaffin sind, aber sich stark für Wissenschaftsthemen interessieren und regelmäßig darüber lesen. Dadurch hat sich mein Blick auf die Zielgruppe schnell verändert. Um sich für persönliche Auswertungen zu interessieren, muss man nicht unbedingt ein Maker sein. Aber Kinder zu haben ist ein Motivator. Ebenso hat meine Annahme über ein potenzielles Produkt durch die Insights aus den Interviews eine Iteration erfahren. Möglicherweise sind Eltern ohne besondere technische Ambitionen nicht nur bereit, vorgefertigte Messlösungen zu nutzen. Es könnte sein, dass sie Spaß am Basteln mit ihren Kindern entwickeln.
Ob sich das bewahrheitet? In der kommenden Woche werden wir erste Prototypen bauen. Dann werde ich hoffentlich genauer erfahren, was im Alltag heute schon machbar erscheint und den Nutzer*innen so viel Spaß bringt, dass sie einen Mehrwert für sich erkennen. Sobald sich das abzeichnet, versuche ich ein erstes, realistisches Geschäftsmodell zu entwickeln, das auf eine spitze Gruppe von Endverbrauchern zielt. Kontakte für die technische Umsetzung bestehen bereits, aber dank des Coachings im Media Lab Bayern werde ich sie in der nächsten Zeit systematisch ausbauen.
Nach zwei Monaten schließt das Projekt mit einem Pitch. Ich bin extrem gespannt darauf, ob das Produkt dann noch Ähnlichkeiten mit meiner Ausgangsidee aufweist, oder ob mich meine Recherchen zu den realen Nutzer*innen-Bedürfnissen in ganz andere Bahnen lenken. In jedem Fall wird diese Research-Arbeit wertvoll sein und Fortschritte bringen. In der Innovationsentwicklung sagt man ja: „Fail early and often“. Nur so lernt man dazu. Ich freue mich auf das Ergebnis dieses Lernprozesses.