Wie könnte ein Metaverse aussehen, wenn es statt Tech-Monopolisten von normalen Menschen erdacht würde? Und wenn es statt VR-Brillen nur Offenheit und die Verbindung zu anderen Menschen bräuchte, um es zu erreichen?! Im Media Lab Bayern hat sich Hannah Schmutterer mit diesen Fragen beschäftigt. Herausgekommen ist ein spannender Essay - und dieser Gastbeitrag.
Wer braucht schon ein alternatives Metaverse? Warum überhaupt noch über das Metaverse schreiben und reden – war das Metaverse nicht irgendeine Tech-Idee, ein Trend, der seinen Peak während der Coronapandemie erreicht hatte? Ist das Metaverse nicht sowieso im Crypto-Winter mit Sam Bankman Fried untergegangen? Sind wir nicht „Post Web3“ und anyway, ist nicht sowieso AI jetzt DAS Thema? Da sind doch die Entwicklungen, die innovativ, wichtig und möglicherweise tödlich (Ja, ich übertreibe!) für die Medienbranche sind! What's next?
Eine Sekunde bitte, und so schnell geht das alles nicht. In einer Welt außerhalb der Trendkolumnen, der Boulevardpresse, dem vor einer halben Sekunde aktualisierten Feed, hat beispielsweise Elon Musk erst vor kurzer Zeit das META Team (Machine Learning Ethics and Accountability) auf Twitter aufgelöst. Die Folgen sind schleichend, langsam kristallisierend - aber verheerend. Ähnlich zu den Ideen, die unter Marc Zuckerbergs Metaverse-Vision langsam Wurzeln schlagen. Nur weil ein Thema nicht mehr auf Seite 3 auftaucht, bedeutet es nicht, dass es nicht weiter lebt, atmet und dass es nicht wert ist, nach seinen Grundprinzipien hinterfragt zu werden. Vor allem, wenn es ein Hauptakteur in der Gestaltung unserer zukünftigen Informationswege ist und sein wird.
Das Metaverse ist mehr als Virtual Reality
Im letzten halben Jahr, tausende Trendkolumnen und eine Million Feedaktualisierungen später, habe ich mich im Research und Development Fellowship des Media Lab Bayern mit dem Thema Metaverse auseinandergesetzt.
Mit dem Ergebnis meiner Arbeit möchte ich das METAverse hinterfragen, in das die Industrie hauptsächlich in Form von Virtual Reality investiert. Mein Text „Desire Lines - Auf der Suche nach einem Alternativen Metaverse“ behandelt den Begriff Metaverse an sich, der eigentlich nur unsere unsichtbaren Netzwerke bezeichnet. An der Erzeugung dieser unsichtbaren Netzwerke sind wir alle mit unseren Smartphones jederzeit beteiligt. Sie werden unbewusst und durchgehend neu geschaffen und gleichzeitig von der Industrie realisiert. Die Tech-Industrie, unter Ex-Facebook, hat den Vorschlag gemacht (bzw. drängt den Vorschlag auf), diese Realisierung komplett virtuell immersiv ablaufen zu lassen. Dabei ist das Metaverse selbst ist schon immer vorhanden und wird noch sehr lange vorhanden sein.
Als ich im Media Lab das erste Mal meine Ideen zum Alternativen Metaverse vorgestellt habe, kam die Frage auf, warum ich mir ein „alternatives Metaverse“ vorstellen will, wenn es das Metaverse selbst doch noch gar nicht gibt. Das stimmt: man muss eine Unterscheidung zwischen Metaverse und METAverse machen. Aber das ist nicht jeder oder jedem klar. Bei einer Umfrage unter Freunden und Bekannten zeigte sich: Das Metaverse scheint für viele ein feststehender Begriff zu sein. Ein Begriff, der sein Verfallsdatum auch schon wieder überschritten hat. Metaverse ist Facebook, ist Meta Party, wo jeder einen Avatar bekommt, wir alle futuristische Headsets tragen und dabei hoffen das Apple eine ästhetisch anspruchsvollere Variante gestaltet.
Das Metaverse als gerade gebräuchlicher Begriff stammt aus dem Kreativitätsdispositiv einer neoliberalen Tech-Innovation-Silicon-Valley-Culture. Dabei ist das Metaverse dieser Industrie kein Stück kreativ und lässt auch keine Kreativität zu. Klar, man kann den Begriff Kreativität umdefinieren und auseinandernehmen, aber seien wir doch mal ehrlich: Das Metaverse der Industrie ist bisher ein leeres Trendobjekt, dem man den Stempel „Last Season“ ankleben kann. Mit meinem Text schlage ich vor, einen Schritt zurückzugehen. Lass uns das „Metaverse“, den Begriff an sich und das, was es meinen könnte, mit anderen Akteuren ein Stück weit „kreativer“, offener und näher an der Umwelt gestalten. Lasst die Tech Bros zurücktreten und anderen Stimmen Raum geben.
Atmosphäre schafft man durch Verbindung mit der echten Natur
Neulich las ich einen poetischen und informativen Artikel in der New York Times. Sam Anderson beschreibt darin seine Reise zum Miyazaki-Vergnügungspark „Ghibli Park“, der im November 2022 in Japan eröffnet hat. Hayao Miyazaki ist der Schöpfer der großen japanischen Animes wie Chihiros Reise ins Zauberland, Das Schloss im Himmel, oder Prinzessin Mononoke, und der Gründer der Ghibli Studios. Wie seine animierten Kinofilme eine Alternative zu Disneys Animationen bieten, glänzt auch der Ghibli Park nicht mit aufregenden Fahrgeschäften. Es handelt es sich dabei auch nicht um den totalizing consumerist embrace.
Der Ansatz des Ghibli Parks besteht darin, die Besucher auf die geheimnisvollen, verzweigten Pfade eines echten Waldes zu leiten. Was der Besucher anstelle von Adrenalinkicks bekommt, ähnelt einem Ghibli-Film mehr, als jeder Disneyland-Abklatsch möglich gemacht hätte. Durch den freien Raum, der durch und mit der Umwelt gestaltet wird, zwischen detailgetreuen Nachbauten der Filmsets (die Alternative zu den Fahrgeschäften), fühlt sich der Besucher inmitten einer fantastischen Ghibli-Welt. Durch die Erhaltung der Umwelt und die Anerkennung des Waldes als größtem Akteur des Freizeitparks wird der Besucher Teil einer Atmosphäre, die aus den Filmen bekannt ist.
Wer baut welches Metaverse?
Facebooks Metaverse scheint dagegen eher ein klassischer Theme Park zu sein. Schnelle Fahrgeschäfte, hohe Preise, Sugar High. Eine neue Welt, ganz ohne unsere natürliche Umwelt. Wie sähe ein Metaverse aus, das Miyazaki entworfen hätte? Er würde vermutlich die poetischen Möglichkeiten, die unsichtbare, und eben nicht komplett virtuell-immersive Netzwerke aufmachen, begreifen. Wie würde er unsere geschaffenen Netzwerke visualisieren?
In meinem Essay habe ich mich, ohne es an Miyazaki festzumachen, mit diesen Fragen beschäftigt. Wer sind die Akteure, die unsere Zukunft, unsere Tools und unsere Medienlandschaft neu denken sollen? Wer könnte es stattdessen sein? Und wie würde das unsere Vorstellung vom „METAverse“ verändern? Dich hoffe, dass damit die Gespräche über all die Tech-Innovation als sogenannte Trends und reine Kapitalmaschinen pausieren kann – und nachhaltiger, langfristiger und offener gedacht werden kann.