Media Research & Development | 19.02.2020
Wie Journalismus auf TikTok und mit Instagram Stories funktionieren kann
Die Möglichkeiten journalistischer Berichterstattung auf TikTok hat die Axel-Springer-Akademie mit dem Digitalprojekt HAWAIITOAST ausgelotet. In Vorbereitung auf das Projekt haben die Studierenden Schülergruppen ins Verlagshaus eingeladen, um sich direkt mit der Zielgruppe über die Inhalte auszutauschen. Die größte Überraschung bei diesen Gesprächen: Es sind nicht zwingend die Unterhaltungs- und Gaga-Videos, die am besten ankommen. Auch etwas härtere, exklusivere Geschichten, die auch auf eine klassischeren Plattform hätten erscheinen können, wurden für gut befunden. Einer der großen Erfolge auf HAWAIITOAST ist ein Interview mit der 78-jährigen Ute Henkel, die in den 60er Jahren von ihrem Freund im Hohlraum eines Cadillacs über die DDR-Grenze geschmuggelt wurde. Studienleiterin Kristin Schulze: "Wir dachten, wir schieben [den jungen Leuten] seriösen Journalismus unter. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Sie wollten die seriösen Geschichten."
Dafür braucht es laut Schulze vor allem die richtige Ansprache. Man müsse wahnsinnig schnell zum Punkt kommen, noch schneller als im Online-Journalismus. Pro Video hat man nur 60 Sekunden Zeit. Jedes Wort, jede Sekunde, jedes Bild wurde im HAWAIITOAST-Team intensiv diskutiert. Mal schnell mal mit dem Handy draufhalten und damit den nächsten Viralerfolg einheimsen, funktioniert nicht. Für die gerade einmal 60-sekündige Geschichte der DDR-Flucht zum Beispiel hatten sich die HAWAIITOAST-Redakteure sogar mehrfach mit der Protagonistin getroffen.
Erstaunt im Umgang mit TikTok hat die Redaktion auch die für Social-Media-Plattformen extrem positive Kommentarkultur: "Wir haben stark auf Moderation gesetzt. Wir wussten, wir müssen alles beobachten. Doch es gibt wenig Hass. Die jüngere Generation ist oftmals freundlicher und netter zueinander, als man denkt."
Die Erfahrungen der HAWAIITOAST-Kollegen kann auch Jamal Fischer, Redakteur beim Technikmagazin CHIP, bestätigen: Ohne Konzept geht es nicht. Die wichtigste Frage dabei: Wie will ich der Zielgruppe, die sich auf der Plattform befindet, das, was meine Marke ausmacht, schmackhaft machen? Die Digital-Plattform begeistert ihre Community auf der Plattform hauptsächlich mit Handytricks und anderen Tech-Lifehacks, gewürzt mit kleinen Comedy-Clips aus dem Chip-eigenen Testlabor. Damit hat es der Kanal in fünf Monaten auf 100 000 TikTok-Follower gebracht.
Gleich das zweite Video auf dem Kanal, das den Usern erklärt, wie sie ihr Android-Handy wieder schneller machen können, war ein großer Erfolg. Seitdem wächst der Kanal stetig. Fischer ist in fast allen Videos die Identifikationsfigur für die User. Er selbst glaubt allerdings nicht, dass seine Person wichtig für den Erfolg des Kanals ist: "Je mehr man mich sieht, desto weniger funktionieren die Videos." Essenziell für den Erfolg auf TikTok ist laut Fischer auf jeden Fall der Anfang des Videos: "Die ersten zwei Sekunden sind für den Erfolg entscheidend."
In anderen Bereichen musste Fischer feststellen, dass die TikTok-Community nicht zwingend so tickt, wie man es als Außenstehender vielleicht erwartet. Zur Anfangszeit des Kanals hatte er es nach eigener Aussage noch zu sehr mit Video-Effekten übertrieben: "Ich dachte, das ist das, was auf TikTok gewollt ist. Das eindeutige Feedback der User war allerdings: weniger Effekte!"
Eine Medienmarke, die Social Media nicht nur als verlängerten Arm der Homepage nutzt, sondern ihren Anfang ausschließlich auf Instagram genommen hat, ist der Account wasmitwirtschaft des ehemaligen Handelsblatt-Redakteurs Maximilian Nowroth. Er wollte die junge Zielgruppe dort erreichen, wo sie sich sowieso schon aufhält. Außerdem sprach ihn die niedrige technische Einstiegshürde an.
Instagram sei in den vergangenen Jahren reifer geworden, sagt Nowroth. "Inhaltlich geht es nicht nur um Muckis, Mode oder Make-up."
Seit August 2019 hat er sich eine Gefolgschaft von über 2000 Abonnenten aufgebaut, die er mit regelmäßigen Instagram-Stories über Wirtschaftsthemen informiert.
In Fokus stehen dabei Themen, die junge Menschen in ihrem Alltag betreffen. Laut Nowroth funktionieren dabei Gesellschaftsthemen, Sozialpolitisches und Umwelt besser als klassische journalistische Genres wie Finanzen oder Nutzwert.
Fünf bis sieben Stunden Arbeit steckt Nowroth täglich in seine Stories. Meist steht er dabei selbst vor der Kamera, bindet aber auch regelmäßig Interviewpartner mit ein, die er entweder persönlich besucht oder deren Smartphone-Aufzeichnungen er in einer Art Live-Schalte zuspielt. Dabei sieht er sich als "Scheinwerfermann", der das Spotlight auf Personen richtet, die er wichtig findet. Sein größter Erfolg auf dem Kanal: Eine überdurchschnittlich lange Geschichte, in der Nowroth mit Obdachlosen spricht.
Nowroth ist bewusst, dass der Erfolg des Kanals stark an ihn und seine Persönlichkeit vor der Kamera geknüpft ist. Sein größtes Learning: Auch, wenn Content in Instagram Stories spontan aussieht, erfolgreich wird man nur, wenn die Stories professionell gemacht sind. Im August 2019 habe er einfach losgelegt und sich nach eigenen Aussagen eine blutige Nase geholt. Heute ist er sich bewusst, es benötige schon einer gewissen Ästhetik. Auch ein bisschen Eitelkeit sei angebracht.
Außerdem müsse eine gut gemachte Instagram-Story eine abgeschlossene Geschichte erzählen. Bewegung und regelmäßige Ortswechsel liefern die dringend benötigte Dynamik.
Am wichtigsten jedoch: "Man ist nur erfolgreich, wenn man auch authentisch ist."
"Wir haben eine sehr schöne Bildsprache. Die sollte nicht nur auf der Website stattfinden, sondern auf einem Tool, das dafür konzipiert wurde." Nur einer der Gründe für Carly Laurence, Social-Media-Redakteurin bei der Zeit, Content für Instagram zu produzieren. Der gemeinsame Instagram-Kanal von DIE ZEIT und ZEIT ONLINE hat 439.000 Abonnenten.
Bei den Instagram Stories punktet die Redaktion hier vor allem mit gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Themen. Besonders gut von den Usern angenommen werden Aktionen, bei denen die Nutzerinnen und Nutzer Fragen zu einem Themenschwerpunkt stellen können, die dann von einem Redakteur beantwortet werden, wie zum Beispiel zu den Themen Alkohol oder Cannabis.
Instagram-Channel »Zeit online«
"Die User fühlen sich gehört und verstanden." so Laurence. "Es ist wichtig, dass die Community das Gefühl hat, dass dort ein direkter Austausch stattfindet. Das heißt: "Meine Nachrichten werden beantwortet. Ich habe die Möglichkeit, direkt mit der Redaktion zu kommunizieren und Fragen zu stellen." Laut Laurence könne man die Möglichkeiten zum Austausch, die Plattformen wie Instagram bieten, gar nicht hoch genug bewerten: "Vielen Redaktionen ist es bewusst, dass sie sich mit dem Leser auseinandersetzen müssen. Das alles ist sehr aufwändige Arbeit. Am Ende des Tages zahlt es sich jedoch aus, wenn man sich mit der Community beschäftigt. Die Kommunikation mit dem Nutzer ist essentiell, um gute Arbeit zu leisten."
Durch diesen Austausch mit den Usern auf Instagram ergaben sich für die ZEIT bereits häufiger Themen, die zuerst gar nicht für diesen Kanal eingeplant waren. Für Laurence ein eindeutiger Beweis dafür, wie wichtig Kanäle wie Instagram für das Erzählen journalistischer Geschichten sind: "Man merkt, die Menschen beziehen ihre Nachrichten sehr stark über diese Plattform."
In einer Sache sind sich alle Befragten einig. Wer das Ziel hat, junge Menschen zu erreichen, kommt an Instagram und TikTok nicht vorbei. Wer sich von vornherein einer Plattform verschließt, sollte nicht Journalist sein. Man muss sich mit dem Thema auseinandersetzen, gemäß dem Motto: Versuche, dein Thema lieben zu lernen.
Seit Oktober forschten 6 Medien-Pioniere im Rahmen unseres R&D Fellowships an spannenden Challenges zu News-Plattformen, Streaming, Blockchain-Lösungen, Zukunftsjournalismus und Mobile Storytelling für Medienhäuser. In unserem Blog veröffentlichen wir ihre Ergebnisse.
Weitere R&D Fellowship Blog Posts:
- Kollaborative Plattform für den Journalismus
- Blockchain-Technologie in der Medienbranche
- Die Zukunft des digitalen Filmkonsums
- Turbulenzen im Online-News-Markt
Auch 2020 bieten wir euch wieder die Möglichkeit an Themen, die die Medienbranche bewegen zu forschen und zu experimentieren. Bewerbt euch jetzt für einen Platz in unserem R&D Fellowship!